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Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Titel: Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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sehr beliebt und konnten leicht gegen Essbares eingetauscht werden. Es war ein ruhiger, sonniger Tag, bisher ganz ohne böse Zwischenfälle.
    »Sein Blick. Er hat einen gutmütigen Blick. Liebevoll, würde ich fast sagen, wenn ich sehe, wie er dich anschaut. Hast du übrigens gesehen, was er alles dabeihat? Er scheint Arzt zu sein oder Apotheker. Dutzende von Döschen und Schächtelchen hat er in seinem großen Lederbeutel, und als ich mir das mal näher anschauen wollte, wurde er ganz grantig.«
    Andreas lachte, und Anna hatte das Gefühl, dass er den Ernst der Lage gar nicht begreifen wollte.
    »Ich werde jetzt zu ihm gehen.« Sie stand auf und verschwand in der Tenne.
    Er saß auf seiner Decke und packte in einer ungewöhnlich beeindruckenden Gemütlichkeit und sorgfältigkeit seine Sachen zusammen. Er hatte tatsächlich viel Gepäck. Das war Anna bisher gar nicht aufgefallen, da alles in einem dunklen Winkel unter dem ganzen sonstigen Gerümpel versteckt gelegen hatte. Anscheinend wollte er gehen. Kräftig genug war er nun, die Krankheit schien glücklich überstanden.
    Es war ihm noch immer unangenehm, Anna anzusehen oder besser: von Anna angesehen zu werden. Das war offensichtlich. Wäre er nicht zu schwach gewesen, so hätte er sich sicherlich vor ihr versteckt, aber nun war der Bann gebrochen. Anna hatte ihn gesehen, und nun ließ er es auch weiterhin zu, dass sie ihn ansah. Doch schämte er sich nach wie vor, das spürte Anna. Zwar erwiderte er ihren Blick standhaft, doch es kam immer wieder vor, dass er verlegen den Kopf senkte, ohne jedoch sein einziges Auge von ihr abzuwenden. Wie ein geschlagener Hund schaute er sie dann von unten an.
    Angst hatte Anna mittlerweile nicht mehr.
    War er nun der Mörder?
    Ganz sicher war sie sich nicht. Andreas hatte Recht: Trotz seines entsetzlichen Äußeren sah er nicht wie ein kaltblütiger Schlächter aus. Und doch hatte er etwas damit zu tun, war immer da gewesen. War er etwa der schatten, der sie jahrelang verfolgt hatte?
    Und war dieser hier gar nicht der Mörder?
    »Geht es dir gut?« Anna begann vorsichtig und mit leiser Stim me.
    Er nickte, also verstand er.
    »Willst du nun gehen?«
    Er nickte.
    »Wie ist dein Name?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Wie bist du hierhergekommen?«
    »Man war schon lange hier.« Er sprach mit einer dunklen, froschartigen stimme, aber verständlich.
    Anna nickte.
    »Bist du mir gefolgt?«, fuhr sie nach einer Weile fort.
    »Man muss auf die Frau aufpassen.«
    »Auf welche Frau?«
    »Auf die Frau muss man aufpassen.«
    Anna nickte, ohne zu verstehen, was er meinte. War sie die Frau, auf die er aufpasste?
    »Warst du auch damals in Westfalen? Warst du dort im Tross dabei?«
    »Man begleitet die Soldaten.«
    »Aber zeigen tust du dich nicht, oder?«
    »Man muss sich verstecken.«
    Anna nickte, dann stellte sie die ihr wichtigste Frage: »Kanntest du meine Schwester? Mine war ihr Name. Sie hatte rotes Haar und konnte nicht sprechen. Zuletzt war sie im Wald und hat Holz gesammelt. Dort ist sie gestorben. In Westfalen war das, bei Höxter. Kanntest du sie?«
    »Die Frau hat gesungen. schön gesungen.«
    »Wer hat sie umgebracht?«
    »Die Frau hat gelacht. Niemand darf lachen. Lachen bedeutet den Tod.«
    »Hast du sie umgebracht?« Anna wurde nervös.
    »Man darf nicht lachen.«
    »Wieso hat sie gelacht? Aus welchem Grund?«
    »Die Frau hat etwas gesehen. Durfte das nicht sehen. Das war nicht gut. Hat darüber gelacht. Musste deshalb sterben.«
    »Was hat sie gesehen?« Anna glaubte sich langsam in großer Gefahr, vorsichtig schaute sie sich um. Andreas war ihr sicherlich gefolgt und würde eingreifen, wenn etwas passierte.
    »Hat gesehen, was sie nicht sehen sollte. Hat gesehen, was jeder macht, jeden Tag. Hat trotzdem darüber gelacht. Hat mit dem Finger darauf gezeigt. Hat so laut gelacht, dass auch andere Leute alles gesehen haben. Andere haben geschaut und alles gesehen. Haben gesehen, was jeder jeden Tag macht, und haben trotzdem gelacht.«
    »Meine Schwester musste sterben, weil sie gesehen hat, wie du dein Geschäft verrichtest?«
    Der Mann schwieg. »Und all diese Frauen mussten sterben, weil sie gelacht haben?«
    »Lachen darf man nicht. Man darf nicht lachen.«
    Anna glaubte zu verstehen.
    »Und dann bekommen sie eine Sanduhr. Als Warnung. Als Zeichen, dass sie sterben müssen. stimmt das?«
    Er nickte.
    »Warum habe ich die Sanduhr bekommen?«, fuhr Anna fort.
    »Die Frau hat gelacht.«
    »Aber ich habe dich doch noch nie vorher

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