Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
dass man die beiden kaum auseinanderhalten konnte. Zähne schienen sie gar keine mehr im Mund zu haben, so sehr waren ihre Wangen eingefallen. Alles in allem blickte Anna in zwei völlig fremde und über die Maßen entstellte Gesichter.
Die ganze situation war wie ein schrecklicher Albtraum, schlimmer konnte sich Anna das Leiden in der Hölle nicht vorstellen. Und das Beklemmendste an der ganzen Sache war, dass sie sich schämte, nicht die gleichen körperlichen Qualen durchmachen zu müssen wie die anderen. Sie saß dort, unversehrt, und musste die Gegenwart und vor allem die Stille ertragen. Die Ungewissheit darüber, was der morgige Tag bringen werde, war nicht einmal so grausam wie die Tatsache, dass all diese bisher vertrauten Personen plötzlich so fremd geworden waren. Da saßen sie, Liese Kroll, die verrückte Therese und Hans Mergel, von dem man nicht einmal mehr wusste, ob er noch lebte. Und keiner gab einen Ton von sich, alle schwiegen, und alle hassten Anna. Zumindest schien es ihr so.
Wieso sprachen sie nicht mit ihr? Und weshalb wagte sie es nicht einfach, den Bann zu brechen und eine einfache Frage zu stellen? Nur drei, vier liebevolle Worte. Es ging nicht, sie brachte nichts über ihre Lippen. Sie fühlte sich wie geknebelt und glaubte nicht einmal, dass sie überhaupt noch eine Stimme be-saß. Es war ihr, obwohl ihr nichts weiter als zwei Tage Haft widerfahren waren, mittlerweile egal, wie die Angelegenheit enden würde. Nur schnell sollte alles vorüber sein, so schnell wie nur irgend möglich.
Die sekunden vergingen wie Stunden, und wieder wartete eine lausig kalte Nacht auf sie. In dieser Nacht gab es keine Zwischenfälle, keine Befreiungsversuche des Teufels, keine Schüsse und keine fluchenden Wachen, alles blieb still. Anna hätte sich schon gefreut, einfach das Grölen betrunkener Würfelspieler zu hören, doch in diesem Teil des Lagers blieb des Nachts alles ruhig.
Denn hier in diesem Dorf waren vor allem die Verwaltungs-stellen untergebracht, hier befanden sich die provisorisch in einfachen Bauernhäusern eingerichteten Behörden und Institutionen, die ein Heer benötigte. Die Soldaten und der Tross hausten woanders. Ach, könnte sie doch nur in ihrem Zelt unter ihrem stockigen Schafsfell liegen und müsste nun nicht diese Luft einatmen, diese nach Verfall und Tod riechende Luft eines zum Verlies umgebauten Ziegenstalls!
Der nächste Tag brachte die gewünschte Erlösung – Erlösung im sinne eines schnellen Endes dieses großen Albtraums. Den vier Trossleuten um Liese Kroll wurde ein kurzer Prozess gemacht. Unter Vorsitz des Profoss Heidestett tagte in den Räumen des Pfarrhauses das Gericht. Ein schreiber verlas in Gegenwart der vier Angeklagten die Geständnisse, die während der Folterungen aus den Beschuldigten herausgepresst wurden.
Demnach hatte Liese eindeutig eingestanden, eine Hexe zu sein, und nicht nur alle in den letzten Jahren auf die gleiche Art und Weise geschehenen mysteriösen Morde zugegeben, sondern darüber hinaus noch unzählige weitere schreckliche Mis-setaten. Außerdem war es noch in der jüngsten Nacht zu einem Zwischenfall gekommen, welcher deutlich bewiesen habe, dass Liese Kroll mit dem Teufel im Bunde stehe. Der Wachmann der Gefangenen sowie ein soldat hatten mit eigenen Augen gesehen, dass der Teufel in Gestalt eines verwachsenen Monstrums die Gefangenen aus ihrem Verwahrsam befreien wollte. Nachdem der Wachmann auf die Gestalt geschossen hatte, war diese davongeeilt.
Auch Therese Wittmann, so der Protokollant weiter, war eindeutig eine Gespielin des Teufels, die regen Kontakt zu ihrem dunklen Herrn hatte und zusammen mit Liese die Untaten geplant habe. Der alte Hans Mergel war ein dummer Greis, der unwissend den beiden Hexen zur Seite stand, ohne zu ahnen, bei welchen Schändlichkeiten er sie unterstützte. Und die erst kürzlich zum Heer gestoßene Anna Pippel war auch nichts weiter als eine verirrte Landarme, der bezüglich der jüngsten Schandtaten keine absichtlichen Verfehlungen nachgesagt werden konnten.
Zur Verteidigung hatten sämtliche Angeklagte nichts vorzubringen. Sie hüllten sich in tiefes Schweigen, was angesichts des Fehlens aller Zähne bei Liese Kroll und Therese Wittmann nicht verwunderlich war.
Und somit konnte das Urteil schnell und deutlich verlesen werden. Liese Kroll und Therese Wittmann, die sich selbst der Hexerei für schuldig erklärt hatten, sollten mit dem Feuertod bestraft werden, ganz so, wie es sich für Hexen
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