Desiderium
demselben schiefen Grinsen.
»Ganz im Ernst.« Seine Sti mme wurde tiefer. »Danke, dass du hier bist. Ich dachte vielleicht nach heute Mittag …«
Seine Finger streiften meine Hand . Die Elektrizität war vorhanden wie immer. Fast immer, korrigierte ich mich. Er bemerkte es, sagte jedoch nichts.
»Wo bringst du mich eigentlich hin?«, lenkte ich ab und folgte ihm in gemütlichem Schritttempo.
»Lass dich überraschen«, entgegnete er.
Wir gingen schätzungsweise fünf Minuten weiter, ohne dass ich mit Sicherheit sagen konnte, wo genau wir uns befanden. Zwar gewöhnten sich meine Augen mehr und mehr an die Dunkelheit, aber in der Nacht schien alles anders auszusehen.
Als er schließlich an hielt, warf er mir ein Lächeln zu, das durch seine Zurückhaltung auffiel. Konnte es möglich sein, dass Jaron ein Anflug von Schüchternheit überkam?
» Warte kurz«, bat er mich. Ich hörte das Gras rascheln und glaubte zu sehen, wie er nach mehreren Dingen auf dem Boden griff. »Ich wusste nicht, wie ich sonst am besten für Licht sorgen kann«, erklärte er, als ein halbes Dutzend Fackeln, die mir nur bis zum Ellebogen reichten, die Dunkelheit durchbrachen.
Dann sah ich, was Jaron zwischen die Fackeln gelegt hatte.
»Ein Picknick?«, fragte ich mit erstickter Stimme.
»Ja.« Wie so oft ging er sich mit der Hand durchs Haar. »Ich sagte doch, dass es mal etwas anderes werden soll. Ich meine abgesehen von gestern …«
Ich will es wiedergutmachen, bitte !
»Und du bist erst auf die Idee gekommen, nachdem ich mehrmals gedroht habe, dich umzubringen?« Das war ja, als würde man ein Kind, das gestohlen hatte, mit einem neuen Spielzeug belohnen.
»Ja. Irgendwo zwischen deinen heißen Auftritten, schätze ich. Hast du etwas dagegen?«
Er entspannte sich sichtlich, als wir uns auf die ausgebreitete Decke setzten.
»Möchtest du etwas essen? Ich hab gehört, ein Mitte rnachtssnack soll in der richtigen Begleitung immer besonders gut schmecken.«
»Was hast du denn im Angebot?«
» Wie wäre es mit dem Inhalt eines halben Obstgartens?! Mach die Augen zu. Dann zeige ich es dir!«
Verwirrt über diese Aussage tat ich wie geheißen . Geduldig wartete ich ab, hörte das Rauschen der Blätter, spürte noch immer den Nebel um mich herum. Und dann spürte ich etwas an meinen Lippen. Zögernd öffnete ich den Mund.
»Kirsche«, murmelte ich. Ein Kichern zeigte Zustimmung. Erneut etwas an meinem Mund. »Traube.« Es folgte drei weitere Berührungen; Kiwi, Pfirsich und Pflaume.
Ein unbekanntes Gefühl überkam mich dabei. Doch es war nicht das ungute, die Kontrolle abzugeben oder das Unangenehme, wenn wir uns unbewusst zu nahe kamen. Es war nichts Negatives. Eher ein Zustand, der mich an Vorfreude erinnerte. Worauf?
Erst als ich die Augen öffnete und in seine vielseitigen, tiefgründigen silbernen sah, kam mir eine Idee, was es sein könnte. Eine Idee, die mir nicht gefiel : Vielleicht wollte ich, dass er mich noch einmal berührte – dass er mich küsste. Aber das wäre total verrückt, meldete sich die schwache Vernunft augenblicklich zurück. Es wäre verrückt, weil ich ihm am Morgen dafür noch das Leben zur Hölle hatte machen wollen. Nicht nur deshalb. Es gab noch einen Grund, einen wichtigen, vielleicht sogar den wichtigsten. Doch ich konnte mich nicht mehr daran erinnern … es war als sei eine Barrikade in meinem Kopf.
»Die Übung heute war nicht vollständig u msonst. Es hätte überhaupt nicht klappen können, wenn du es nicht brauchen würdest. Ich glaube, dass wir daran arbeiten können, am Ende warst du gut.«
»Jar on …« Ich hatte eigentlich nicht geplant, noch einmal über diesen missratenen Nachmittag zu reden. »Sekunde, hast du gesagt, ich sei heute gut gewesen? Noch ein Kompliment?!«
»Vorhin habe ich keinen gesteigerten Wert darauf gelegt, dich auch noch zu loben.« In aller Seelenruhe aß er eine Pflaume.
Die Zeit verging, während er mir etwas zu trinken und weiteres Obst anbot. Als er mir eine kleine Schale mit Erdbeeren reichte, zuckte seine Hand in meine Richtung als hätte er ebenfalls nichts dagegen, das Spiel weiterzuführen.
Es erleichterte mich, dass er es nicht tat. Das Universum schien der Meinung zu sein, dass mein innerer Konflikt noch nicht ausreichend war, als die Erde begann zu vibrieren, kaum dass ich mir Jaron noch einmal von oben bis unten ansah.
»Ist das eine Warnung, dass ich jetzt gleich in Flammen aufgehen werde?«, fragte er, noch immer mit einem
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