Desperation
Augenblick sein kleinstes
Problem. Gott hatte ihm den Rachen mit einer Motorradjacke
zugehalten. Überall lag Zeug aus den Taschen verstreut, und
die Jacke selbst hatte einen Riß in der Mitte. Ein Streifen speichelgetränkten schwarzen Leders hing dem Kojoten seitlich
aus dem Maul wie ein gut durchgekauter Stumpen.
»Hau ab, David!« schrie Davids Vater. Seine Stimme klang
heiser vor Tränen und Angst. »Hau ab, solange du noch kannst!«
Der grauhaarige Mann, Marinville, sah ganz kurz zu David. »Er hat recht, Junge. Verzieh dich.« Dann wandte er sich
wieder dem knurrenden Kojoten zu. »Komm schon, Bello, das
kannst du doch besser! Herrgott, ich wäre gern dabei, wenn
du bei Mondschein anfängst, Reißverschlüsse zu scheißen!«
Er riß heftig an der Jacke. Der Kojote rutschte mit gesenktem
Kopf, gestrecktem Hals und steifen Beinen über den Boden
und schüttelte seinen schmalen Kopf von einer Seite auf die
andere, als er versuchte, Marinville die Jacke zu entreißen.
David drehte sich auf den Knien um und zog seine
Kleidungsstücke zwischen den Gitterstäben durch. Er tastete
nach der Schrotpatrone in seiner Hose. Die Patrone war da. Er
stand auf, und die Welt verwandelte sich für ein paar Sekunden in ein Karussell. Er mußte sich am Gitter seiner ehemaligen Zelle festhalten, damit er nicht umkippte. Billingsley legte
eine Hand auf seine. Sie war überraschend warm. »Geh,
Junge«, sagte er. »Deine Zeit ist fast um.«
David drehte sich um und stapfte zur Tür. Er hatte immer
noch pochende Kopfschmerzen und konnte kaum das Gleichgewicht halten; die Tür schien sich auf einer Schaukel oder
Wippe oder so was zu befinden. Er stolperte, fing sich wieder
und machte die Tür auf. Dort drehte er sich zu seinem Vater
um. »Ich komme wieder.«
»Wag das ja nicht«, sagte sein Vater sofort. »Such ein Telefon
und ruf die Cops, David. Die State Cops. Und sei vorsichtig.
Laß dich nicht -«
Ein durchdringendes, ratschendes Geräusch war zu hören,
als Johnnys teure Lederjacke schließlich entzweigerissen
wurde. Der Kojote, der nicht mit so einem plötzlichen Sieg gerechnet hatte, flog rückwärts, überschlug sich und sah den
nackten Jungen in der Tür stehen. Er rappelte sich auf und
stürzte sich knurrend auf ihn. Mary schrie.
»Raus, Junge, RAUS!« rief Johnny.
David duckte sich hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.
Keine Sekunde später knallte der Kojote dagegen. Ein Geheul
- aus nächster Nähe um so schrecklicher - war aus dem Zellentrakt zu hören. Als wüßte er, daß er übertölpelt worden ist,
dachte David; als wüßte er, daß der Mann, der ihn hergerufen
hatte, nicht erfreut sein würde, wenn er zurückkam.
Ein neuerliches Poltern ertönte, als sich der Kojote erneut
gegen die Tür warf, eine Pause, dann ein drittes. Das Tier
heulte wieder. David bekam eine Gänsehaut auf seinen eingeseiften Armen und der Brust. Direkt vor ihm lag die Treppe,
wo seine kleine Schwester in den Tod gestürzt war; wahrscheinlich wartete sie immer noch auf ihn im Halbdunkel,
hatte die Augen vorwurfsvoll offen und fragte ihn, warum er
Mr. Riesenschreck nicht aufgehalten hatte; was taugte ein
großer Bruder, der Mr. Riesenschreck nicht aufhalten konnte? Ich kann da nicht runter, dachte er. Ich kann nicht. Auf keinen Fall. Nein … aber trotzdem hatte er keine Wahl.
Draußen wehte der Wind so stürmisch, daß das Backsteinhaus ächzte wie ein Schiff bei starkem Seegang. Auf der Straße
fiel etwas mit lautem Knall um und wehte polternd davon;
der Junge zuckte zusammen. Auch Staub konnte er hören, der
gegen die Mauern und Türen da draußen prasselte wie feiner
Schnee. Der Kojote, der nur durch zwei Zentimeter Holz von
ihm getrennt war … und es auch wußte … heulte wieder.
David machte die Augen zu und preßte vor Mund und
Kinn die Hände aneinander. »Gott, hier ist wieder David Carver. Ich stecke in so einem Schlamassel, lieber Gott. Bitte beschütze mich und hilf mir, zu tun, was ich tun muß. Dafür bete
ich im Namen Jesu Christi, amen.«
Er schlug die Augen auf, holte tief Luft und tastete nach
dem Treppengeländer. Dann drückte der nackte David Carver
seine Kleidungsstücke mit der freien Hand an die Brust und
ging in die Schatten hinunter.
4
Steve versuchte zu sprechen und konnte es nicht. Versuchte es
noch einmal und konnte es wieder nicht, obwohl er diesmal immerhin ein einziges trockenes Piepsen herausbrachte. Du hörst
dich an wie eine Maus, die hinter einer Sockelleiste furzt, dachte er.
Er merkte, daß Cynthia
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