Desperation
seine Hand so fest drückte, daß es
weh tat, aber die Schmerzen schienen unwichtig zu sein. Er
wußte nicht, wie lange sie an der Tür zu dem großen Raum
am Ende der Nissen-Hütte gestanden hätten, wenn der Wind
draußen nicht etwas umgerissen und polternd die Straße entlanggeweht hätte. Cynthia keuchte, als wäre sie geschlagen
worden, und hob die freie Hand zum Gesicht. In dieser Haltung drehte sie sich um und schaute ihn an, so daß er nur ein
aufgerissenes Auge sehen konnte, in dem Entsetzen geschrieben stand. Tränen liefen daraus herab.
»Warum?« flüsterte sie. »Warum?«
Er schüttelte den Kopf. Er wußte nicht, warum, hatte keine
Ahnung. Er wußte nur zweierlei mit Sicherheit, daß die Leute,
die dafür verantwortlich waren, sich nicht mehr hier befanden, sonst wären er und Cynthia längst tot, und daß er, Steven
Ames aus Lubbock, Texas, nicht hier sein wollte, wenn diese
Leute beschlossen, wiederzukommen.
Der große Raum am Ende der Nissen-Hütte sah wie eine Mischung aus Werkstatt, Labor und Lagerhalle aus. Er wurde von
hängenden, lichtstarken Lampen mit Metallhauben erhellt, die
ein wenig an die Leuchten über Billardtischen erinnerten. Sie
erzeugten ein helles, gelbliches Licht. Steve hatte den Eindruck,
als hätten hier zwei Gruppen gleichzeitig gearbeitet, eine
führte auf der linken Seite Analysen durch, während die zweite
auf der rechten Seite sortierte und katalogisierte. Auf der Sortierseite standen Waschkörbe von Dandux an der Wand, und in
jedem befanden sich Gesteinsbrocken. Diese waren eindeutig
sortiert worden; ein Korb war mit überwiegend schwarzen
Steinen gefüllt, einer mit kleineren Steinen, fast Kieseln, die
von Quarzsplittern durchschossen waren.
Auf der Analyseseite (wenn es denn eine war) standen eine
Reihe Macintosh-Computer auf einem langen Tisch voller
Werkzeuge und Handbücher. Auf den Macs liefen Bildschirmschoner. Ein Monitor zeigte wunderschöne bunte
Helixformen und die Worte GASCHROMATOGRAPH BEREIT. Ein anderer bot ein Programm, das Disney ganz sicher
nicht genehmigt hatte: Goofy, der alle sieben Sekunden die
Hosen runterließ und einen riesigen Ständer entblößte, auf
dem die Worte HARR HARR HARR geschrieben standen.
Am anderen Ende des Raums stand ein großer Geländewagen mit angekoppeltem Anhänger vor einer geschlossenen
Garagentür mit der blauen Aufschrift WILLKOMMEN IN
HERNANDOS VERSTECK. Der Anhänger war ebenfalls mit
Gesteinsproben gefüllt. An der linken Wand hing ein Schild,
auf dem stand: SCHUTZHELME MÜSSEN GETRAGEN
WERDEN MSHA-VORSCHRIFT KEINE AUSNAHMEN.
Unter diesem Schild verlief eine Reihe Haken, aber es hingen
keine Schutzhelme daran. Die Helme lagen auf dem Boden
verstreut, unter den baumelnden Füßen der Leute, die an den
Haken aufgehängt worden waren wie Rinderhälften in der
Kühlhalle einer Metzgerei.
»Steve … Steve, sind das … Puppen? Schaufensterpuppen?
Ist das … Sie wissen schon … ein Witz?«
»Nein«, sagte er. Das Wort war kurz und fühlte sich so staubig an wie die Luft draußen, aber es war immerhin ein Anfang. »Das wissen Sie genau. Nicht so fest, Cynthia, Sie brechen mir die Hand.«
»Zwingen Sie mich nicht, loszulassen«, sagte sie mit brüchiger Stimme. Sie hielt sich immer noch eine Hand vors Gesicht
und betrachtete die baumelnden Leichen auf der anderen
Seite des Raums mit einem Auge. Im Radio waren die Tractors
inzwischen David Lee Murphy gewichen, und David Lee
Murphy hatte einem Werbespot für ein Geschäft namens
Whalen’s seinen Platz überlassen, das der Sprecher als »Austins Laden für alles!« bezeichnete.
»Sie müssen nicht loslassen, nur nicht ganz so fest drükken«, sagte Steve. Er hob einen zitternden Finger und fing an
zu zählen. Eins … zwei… drei…
»Ich glaube, ich hab mir ein bißchen in die Hose gemacht«,
sagte sie.
»Kann ich Ihnen nicht zum Vorwurf machen.« Vier… fünf…
sechs… sieben…
»Wir müssen hier raus, Steve, dagegen wirkt der Typ, der
mir die Nase gebrochen hat, wie der Weihna-«
»Seien Sie still und lassen Sie mich zählen!«
Sie verstummte; ihr Mund zitterte, ihre Brust hob und senkte sich, während sie versuchte, das Schluchzen zu unterdrükken. Steve tat es leid, daß er sie angefahren hatte - sie hatte
schon vor dem heutigen Tag eine Menge durchgemacht -,
aber er konnte nicht allzugut denken. Herrgott, er war nicht
sicher, ob er überhaupt dachte.
»Dreizehn«, sagte er.
»Vierzehn«, verbesserte sie ihn mit einer zittrigen, unterwürfigen Stimme. »Sehen Sie?
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