Desperation
wir haben Fahrzeuge gesehen«, sagte sie und zuckte
zusammen, als etwas in der Nähe umfiel. Es hörte sich nach
etwas Großem aus Metall an. »Herrgott, Steve, können wir
nicht bitte machen, daß wir hier wegkommen?«
Er wollte es so sehr wie sie, vielleicht noch sehnlicher,
schüttelte aber den Kopf. »Erst wenn wir das geklärt haben.
Es ist wichtig. Sehr wichtig. Vierzehn Tote, nicht mitgerechnet
der Boß und die Leute aus dem Wohnmobil.«
»Die Familie Carver.«
»Die Sache wird Schlagzeilen machen, wenn sie rauskommt - landesweit. Wenn wir nach Ely fahren und sich
herausstellt, daß zwei Cops mit Telefonen und Funkgeräten
keine Meile entfernt waren, und wenn die Täter entkommen,
weil wir so lange gebraucht haben, um jemand zu informieren
… nun, dann wird unsere Entscheidung in Frage gestellt werden. Heftigst.«
Im Licht des Armaturenbretts sah ihr Gesicht grün und
elend aus. »Was wollen Sie damit sagen? Daß die behaupten
könnten, wir hätten was damit zu tun? Wir?«
»Ich weiß nicht, aber ich kann Ihnen eines sagen: Sie sind
nicht die Herzogin von Windsor, und ich bin nicht Duke of
Earl. Wir sind zwei Rumtreiber, mehr nicht. Wie können Sie
sich ausweisen? Mit einem Führerschein?«
»Nein, ich hab nie die Prüfung gemacht. War zuviel unterwegs.«
»Sozialversicherung?«
»Nun, die Karte selbst hab ich irgendwo verloren, ich glaube, ich hab sie bei dem Typ gelassen, der mir das Ohr ruiniert
hat, aber an die Nummer kann ich mich erinnern.«
»Was haben Sie tatsächlich schwarz auf weiß?«
»Meinen Discountausweis von Tower Records and Video«,
fauchte sie. »Noch zweimal lochen, und ich bekomme eine
Gratis-CD. Ich bin scharf auf Vitalogy. Zufrieden?«
»Ja«, sagte er und fing an zu lachen. Sie sah ihn einen Moment lang mit dunklen Augen an, während Schatten über ihr
grünes Gesicht huschten, und er war überzeugt, sie würde sich
auf ihn stürzen und ausprobieren, wieviel Haut sie ihm bei lebendigem Leib abziehen konnte. Dann fing auch sie an zu lachen, ein hilfloses Kreischen, das ihm nicht besonders gefiel.
»Komm mal kurz her«, sagte er und streckte eine Hand aus.
»Machen Sie keine Mätzchen, ich warne Sie«, sagte sie,
rutschte aber ohne zu zögern über den Sitz näher, so daß er
seinen Arm um sie legen konnte. Er spürte, wie ihre Schultern
zitterten. Sie würde in dem ärmellosen Oberteil frieren, falls
sie aus dem Bus aussteigen mußten. In diesem Teil der Welt
fiel die Temperatur in den Keller, wenn die Sonne unterging.
»Du willst wirklich in die Stadt, Mann aus Lubbock?« fragte
sie.
»Ich will in Disneyland ein Eis essen, aber ich finde, wir sollten hinfahren und mal nachsehen. Wenn alles normal zu sein
scheint… normal aussieht… okay, dann versuchen wir, es von
hier zu melden. Aber wenn wir den Eindruck haben, daß auch
nur das Geringste nicht stimmt, brausen wir mit Karacho
nach Ely.«
Sie sah ernst zu ihm auf. »Ich nehm dic h beim Wort.«
»Tu das.« Er legte den Gang ein und ließ den Bus langsam zur
Straße rollen. Im Westen hatte der goldene Schein, der durch
den Sand leuchtete, einen bernsteinfarbenen Ton angenommen.
Am Himmel waren immer mehr Sterne zu sehen, doch die flimmerten zusehends, je dichter der Flugsand wurde.
»Steve? Du hast nicht zufällig eine Kanone, oder?«
Er schüttelte den Kopf, überlegte, ob er noch einmal in die
Nissen-Hütte gehen sollte, um eine zu suchen, verwarf den
Gedanken aber. Er würde da nicht mehr reingehen, das war’s;
auf gar keinen Fall. »Keine Kanone, aber ein echt großes Schweizer Offiziersmesser, mit jeder Menge Schnickschnack
daran. Es hat sogar eine Lupe.«
»Na, jetzt bin ich aber beruhigt.«
Er überlegte sich, ob er sie nach der Figur fragen sollte, oder
ob sie merkwürdige Gedanken gehabt hatte
- Gedanken an Experimente -, ließ es aber sein. Es war einfach zu unheimlich,
wie die Vorstellung, die Nissen-Hütte noch einmal zu betreten. Er bog auf die Straße ab, ohne den Arm von ihren Schultern zu nehmen, und fuhr auf den Ort zu. Dichter Sand wehte
durch den Lichtkegel der aufgeblendeten Scheinwerfer und
formte sich zu huschenden Schatten, welche ihn unaufhörlich
an Erhängte erinnerten, die an Haken baumelten.
5
Der Leichnam seiner Schwester war unten von der Treppe
verschwunden, und das war immerhin schon mal was. David
blieb einen Moment stehen und sah zu der Doppeltür hinaus.
Es dämmerte, und obwohl der Himmel noch klar war - in
einem dunkler werdenden Indigoton
-, wurde das Licht hier
unten auf der Straße von
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