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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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den Kopf unter der Koje vor. »Ist die
Waffe überhaupt geladen? Bist du sicher?«
»Ja, ich bin sicher.« Pause. »Steht er immer noch vor der
Tür?«
»Ja!« rief Mary.
Der Kojote war sogar einen Schritt weitergegangen. Er hatte
den Kopf gesenkt und knurrte so konstant wie ein
Außenbordmotor. Jedesmal, wenn der Junge auf der anderen
Seite der Tür etwas sagte, zuckte das Tier aufmerksam mit
den Ohren.
»Okay, ich bin auf den Knien«, sagte der Junge. Mary
konnte die Nervosität jetzt deutlicher aus seiner Stimme heraushören. Sie hatte das Gefühl, als würde er das letzte Quentchen seiner Selbstbeherrschung aufbrauchen. »Ich fang wieder an zu zählen. Achten Sie darauf, daß Sie so weit hinten wie
möglich sind, wenn ich bei fünf bin. Ich … ich will niemanden
aus Versehen verletzen.«
»Vergiß nicht, nach oben zu schießen«, sagte der Tierarzt.
»Nicht viel, nur ein bißchen. Okay?«
»Weil er springen wird. Richtig. Ich werd daran denken.
Eins… zwei…«
Draußen ließ der Wind kurz nach. In der Stille konnte Mary
zweierlei mit überragender Klarheit hören: das tiefe Knurren
des Kojoten und das Pochen ihres eigenen Herzschlags in
ihren Ohren. Ihr Leben lag in den Händen eines Elfjährigen
mit einer Waffe. Wenn David schoß und verfehlte, oder starr
vor Angst zu schießen vergaß, würde ihn der Kojote wahrscheinlich töten. Und wenn der irre Cop zurückkam, würden
sie alle sterben.
»… drei …« Mit seiner zitternden Stimme hörte sich der
Junge auf unheimliche Weise wie sein Vater an. »… vier … fünf.«
Der Türknauf drehte sich.
2
    Johnny Marinville hatte den Eindruck, als wäre er wieder in
Vietnam, wo sich tödliche Ereignisse mit einer halsbrecherischen Geschwindigkeit abspielten, die einen immer aufs neue
überraschte. Er hatte nicht viel Vertrauen in den Jungen gesetzt, dachte, daß er überallhin schießen würde, nur nicht in
Bellos Pelz, aber der Junge war ihre einzige Hoffnung. Er war,
genau wie Mary, zu dem Ergebnis gekommen, daß es um sie
geschehen war, wenn sie nicht hier raus waren, bevor der Cop
wieder auftauchte.
Und der Junge überraschte ihn.
Zuerst einmal stieß er die Tür nicht auf, so daß sie gegen die
Wand und zurück prallte und ihm so den Blick auf das Ziel
nahm; er schob sie auf. Er hockte auf den Knien und hatte sich
wieder angezogen, aber seine Wangen waren immer noch
grün von Seifenschaum und seine Augen weit aufgerissen.
Die Tür schwang immer noch auf, als er die rechte Hand über
die linke am Griff der Waffe legte, die, dachte Johnny, wie ein
Fünfundvierziger aussah. Eine schwere Waffe für ein Kind.
Der Junge hielt sie in Brusthöhe, den Lauf ein wenig nach
oben geneigt. Sein Gesicht war ernst, sogar konzentriert.
Der Kojote, der offenbar trotz der Stimme, die dahinter erklang, nicht damit gerechnet hatte, daß die Tür aufgehen
würde, wich einen halben Schritt zurück, dann spannte er die
Muskeln und sprang den Jungen fauchend an. Johnny fand,
daß das kurze Zögern das Schicksal des Tiers besiegelt hatte;
es gab dem Jungen, der sich tapferer hielt als mancher
Erwachsener in derselben Situation (Anwesende eingeschlossen), die Zeit, die er brauchte, um sich einzurichten. Er schoß
zweimal, berücksichtigte den Rückstoß und brachte die Waffe
vor dem zweiten Schuß wieder in Position. In dem engen
Raum knallten die Schüsse ohrenbetäubend. Dann stieß der
Kojote, der zwischen dem ersten und zweiten Schuß in die
Luft gesprungen war, mit David zusammen und warf ihn um.
Davids Vater schrie und kroch unter seiner Pritsche hervor,
wobei er sich den Kopf anstieß. Der Junge schien auf dem
Treppenabsatz vor der Tür mit dem Tier zu ringen, aber
Johnny konnte kaum glauben, daß der Kojote noch viel
Kampfgeist in sich hatte; er hatte gehört, wie die Kugeln ihr
Ziel gefunden hatten, der Holzboden und der Schreibtisch
waren vom Blut des Tiers besudelt.
»David! David! Schieß ihm in den Bauch!« schrie Davids Vater,
der in seiner Besorgnis auf und ab hüpfte.
Statt zu schießen, befreite sich der Junge von dem Kojoten,
als wäre er ein Mantel, in dem er sich irgendwie verfangen
hatte. Er rutschte mit bestürztem Blick auf dem Hosenboden
von ihm weg. Blut und Fell besudelten die Vorderseite seines
Hemds. Er stieß mit dem Rücken an die Wand und stemmte
sich daran hoch. Dabei betrachtete er die Waffe und schien erstaunt zu sein, daß sie immer noch da unten war, wo sein Arm
aufhörte.
»Mir geht es gut, Dad, reg dich ab, ich hab ihn, er hat nicht
mal an mir

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