Desperation
ihn dem
Cop geschenkt? Vielleicht seine Lieblingsnichte? Seine Tochter? Officer Friendly trug keinen Ehering, das hatte Peter
sehen können, als er mit den Fingern auf das Lenkrad getrommelt hatte, aber das bedeutete nicht, daß er nie verheiratet
gewesen war. Und die Vorstellung, daß eine Frau, die mit diesem Mann verheiratet war, irgendwann die Scheidung einreichte, fand Peter nicht im geringsten seltsam.
Irgendwo über ihm ertönte ein monotones Surr-surr-surr. Er blickte die Straße hinab und sah eine Wetterfahne, die sich
rasch auf dem Dach einer Bar mit Namen Bud’s Suds drehte.
Es handelte sich um einen Kobold mit einem Topf voll Gold
unter dem Arm und einem wissenden Grinsen in seinem
kreisenden Gesicht. Es war die Wetterfahne, die das Geräusch
machte.
»Nach links, Dumbo«, sagte der Cop, der sich nicht ungeduldig, sondern resigniert anhörte. »Wissen Sie nicht, wo links
und rechts ist? Bringen sie euch New Yorker Homo-Presbyterianern nicht bei, daß links da ist, wo der Daumen rechts ist?«
Peter wandte sich nach links. Er und Mary gingen immer
noch dicht nebeneinander und hielten sich an den Händen.
Sie kamen zu einer Treppe mit drei Steinstufen, die zu einer
modernen Doppeltür aus getöntem Glas führte. Das Gebäude
selbst war längst nicht so modern. Ein weißgestrichenes
Schild auf verblichenem Backstein verkündete, daß es sich
um das Rathaus von Desperation handelte. Darunter standen
auf den Türen die Ämter und Verwaltungen, die im Inneren
untergebracht waren: Bürgermeister, Schulkomitee, Feuerwehr, Polizei, Gesundheitsamt, Sozialamt, Amt für Bergbau
und Metalluntersuchung. An der unteren Seite der rechten
Tür stand in Druckbuchstaben: MSHA SPRECHZEIT FREITAG UM 13 UHR UND NACH VEREINBARUNG.
Der Cop blieb vor der Treppe stehen und sah die Jacksons
neugierig an. Obwohl es hier draußen mörderisch heiß war,
wahrscheinlich über fünfunddreißig Grad, schien er überhaupt nicht zu schwitzen. Hinter ihnen ertönte, monoton in
der Stille, das Surr-surr-surr der Wetterfahne.
»Sie sind Peter«, sagte er.
»Ja, Peter Jackson.« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
Der Cop wechselte die Blickrichtung. »Und Sie sind Mary.«
»Ganz recht.«
»Und wo ist Paul?« fragte der Cop und sah sie amüsiert an,
während der rostige Kobold auf dem Dach der Bar hinter
ihnen surrte.
»Was?« sagte Peter. »Ich verstehe nicht -«
»Wie können Sie >Five Hundred Miles< oder >Leaving on a
Jet Plane< ohne Paul singen?« fragte der Cop und machte den
rechten Türflügel auf. Klimatisierte Luft wallte heraus. Peter
spürte sie im Gesicht und konnte gerade noch registrieren,
wie gut sie tat, und dann schrie Mary. Ihre Augen hatten sich
schneller als seine eigenen an das Halbdunkel im Inneren gewöhnt, aber er sah es einen Moment später. Ein etwa sechs
Jahre altes Mädchen lag am Fuß der Treppe, schräg gegen die
letzten vier Stufen gelehnt. Eine Hand hatte sie über den Kopf
erhoben. Sie lag mit den Handflächen nach oben auf der
Treppe. Ihr strohblondes Haar war zu zwei Zöpfen geflochten. Sie hatte die Augen weit aufgerissen, ihr Kopf war unnatürlich auf eine Seite geneigt. Für Peter stand außer Frage,
wem die Puppe vor der Treppe des Wohnmobils gehörte.
VIER FRÖHLICHE WANDERER hatte auf der
Vorderseite
des Wohnmobils gestanden, aber das war in diesen modernen
Zeiten hoffnungslos überholt. Auch das stand für ihn außer
Frage.
»Heiliger Strohsack!« sagte der Cop liebenswürdig. »Die
hatte ich ganz vergessen! Aber man kann nicht an alles denken, oder? So sehr man es auch versucht!«
Mary schrie wieder, sie preßte die Finger auf die Handflächen, hob die Hände zum Mund und versuchte, die Stufen
hinunter zu flüchten.
»Nein, das tun Sie nicht, das ist eine schlechte Idee«, sagte
der Cop. Er packte sie an der Schulter und stieß sie durch die
Tür, die er aufhielt. Sie wirbelte durch die Eingangshalle und
ruderte verzweifelt mit den Armen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, weil sie nicht auf das tote Kind mit den Jeans und dem MotoKops-2200-Shirt fallen wollte.
Peter wollte seiner Frau folgen, aber der Cop packte ihn mit
beiden Händen und hielt den rechten Türflügel mit dem Hinterteil offen. Er legte Peter einen Arm um die Schultern. Sein
Gesicht sah offen und freundlich aus. Aber, am allerbesten, es
sah vor allem normal aus - als hätten die guten Geister zumindest vorübergehend gesiegt. Peter verspürte einen Anflug
von Hoffnung und merkte zunächst nicht, daß das Ding, das
ihm in
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