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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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hatte, eine altmodische Flinte mit doppeltem Abzug. Der
Cop sah sie starr an. »Ich schätze, diese Frau war gar keine
Folksängerin«, sagte er. »Aber sie hat sich größte Mühe gegeben, mich zu töten, kein Zweifel. Damit.«
Johnny sagte nichts; er wartete nur. Sein Herz schlug langsam, aber sehr heftig in seiner Brust.
»Sie haben nie einen wahrhaft spirituellen Roman geschrieben«, sagte der Cop zu ihm. Er sprach es langsam aus und betonte jedes Wort sorgfältig. »Das ist Ihr großes, unbemerktes
Versagen, und das ist der zentrale Grund für Ihr unverschämtes, selbstgefälliges Verhalten. Sie haben kein Interesse an der
spirituellen Seite Ihrer Natur. Sie verspotten den Gott, der Sie
geschaffen hat, und damit lassen Sie Ihr eigenes Pneuma absterben und verherrlichen den Schlamm, der Ihr Sarx ist. Haben Sie mich verstanden?«
Johnny machte den Mund auf und wieder zu. Sprechen
oder nicht sprechen, das war hier die Frage.
Der Cop befreite ihn aus der Zwickmühle. Ohne vom Lenkrad aufzusehen, ohne auch nur einen Blick in den Rückspiegel, legte er sich den Doppellauf der Flinte auf die rechte
Schulter und zielte damit durch das Drahtgitter. Johnny
rückte instinktiv nach links und versuchte, den riesigen,
dunklen Löchern auszuweichen.
Obwohl der Cop den Kopf immer noch nicht hob, folgten
die Mündungen des Gewehrs Johnny so präzise wie eine
radargesteuerte Kamera.
Er hat einen Spiegel auf dem Schoß, so muß es sein, dachte
Johnny, und dann: Aber was würde ihm das nützen ? Er würde nur
das Dach seines Scheißstreifenwagens sehen, sonst nichts, Was, um
alles in der Welt, geht hier vor?
»Antworten Sie mir«, sagte der Cop. Seine Stimme klang
finster und brütend. Den Kopf hatte er immer noch gesenkt.
Mit der Hand, die nicht die Schrotflinte hielt, trommelte er
weiter auf dem Lenkrad herum, und eine weitere Windbö
schüttelte den Streifenwagen und trieb einen feinen Sandregen gegen die Scheiben. »Antworten Sie mir jetzt. Ich werde
nicht warten. Ich muß nicht warten. Es kommt immer wieder
einer vorbei. Also … haben Sie verstanden, was ich Ihnen gerade gesagt habe?«
»Ja«, sagte Johnny mit bebender Stimme. »Pneuma ist das alte gnostische Wort für Seele. Sarx ist der Körper. Sie haben gesagt, verbessern Sie mich, wenn ich mich irre -« Nur nicht mit
der Schrotflinte, bitte verbessern Sie mich nicht mit der Schrotflinte »- daß ich meine Seele zugunsten meines Körpers mißachtet
habe. Und Sie könnten recht haben. Das könnte gut sein.«
Er rückte wieder nach rechts. Die Mündungen der Schrotflinte folgten seinen Bewegungen präzise, obwohl er hätte
schwören können, daß die Federn des Rücksitzes unter ihm
kein Geräusch von sich gaben und der Cop ihn nicht sehen
konnte, es sei denn, er benutzte einen Fernsehmonitor oder so
etwas
»Schmieren Sie mir keinen Honig ums Maul«, sagte der
Cop müde. »Das wird Ihr Schicksal nur verschlimmern.«
»Es …« Er leckte sich die Lippen. »Es tut mir leid. Ich wollte
nicht -«
»Sarx ist nicht der Körper; Soma ist der Körper. Sarx ist das fleisch des Körpers. Der Körper besteht aus Fleisch - wie das
Wort durch die Geburt von Jesus Christus vorgeblich Fleisch
wurde -, aber der Körper ist mehr als das Fleisch, aus dem er
besteht. Die Summe ist größer als die Teile. Ist das für einen
Intellektuellen wie Sie so schwer zu verstehen?«
Der Lauf der Schrotflinte folgte ihm unablässig. Spürte ihn
auf wie eine automatische Zieleinrichtung.
»Ich… ich habe nie …«
»So darüber nachgedacht? Oh, bitte. Sogar jemand, der spirituell so unbeleckt ist wie Sie, muß wissen, daß ein Hähnchenschnitzel kein Hähnchen ist. Pneuma … Soma und S-s-s -« Seine Stimme klang belegt, und nun sog er Atemluft in sich
hinein und versuchte, wie jemand zu sprechen, der etwas zu
Ende sagen will, bevor er niesen muß. Unvermittelt ließ er die
Flinte wieder auf den Sitz sinken, holte tief und keuchend Luft
(der mißhandelte Sitz wurde weiter nach hinten gedrückt und
hätte um ein Haar wieder Johnnys Knie gequetscht) und nieste. Aus seinem Mund und seiner Nase kam kein Schleim,
sondern Blut und eine rote, filmartige Masse, die wie Nylonstoff aussah. Diese Masse
- Gewebe aus Hals und Nebenhöhlen des großen Cops - landete auf der Windschutzscheibe,
dem Lenkrad, dem Armaturenbrett. Der Geruch war schrecklich; es war der Geruch von verfaultem Fleisch.
Johnny schlug die Hände vors Gesicht und schrie. Es war
unmöglich, nicht zu schreien. Er konnte spüren, wie

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