Desperation
Schönen besuchte, Bill seit 1965. Er ist der Jerry
Garcia der Literaturszene.«
»Das ist nicht fair«, sagte Harris steif.
Appleton zuckte die Achseln. »Neue Augen sehen klar, hat
meine Großmutter immer gesagt. Also raus damit, glauben
Sie, daß er es schafft?«
Steve hatte eingesehen, daß die Frage ernstgemeint war,
vielleicht sogar von entscheidender Bedeutung, und dachte
fast eine ganze Minute darüber nach. Die beiden anderen
Männer warteten und ließen ihn nachdenken.
»Nun«, sagte er schließlich, »ich habe nicht die geringste
Ahnung, ob er bei den Empfängen nur den Käse essen und
auf den Wein verzichten wird, aber ob er es mit dem Motorrad
nach Kalifornien schafft? Ja, wahrscheinlich. Er macht einen
ziemlich kräftigen Eindruck. Einen deutlich besseren als Jerry
Garcia zum Schluß, das kann ich Ihnen flüstern. Ich habe mit
einigen Rockern gearbeitet, die halb so alt waren wie er und
längst nicht so gut ausgesehen haben.«
Appleton hatte zweifelnd dreingeblickt.
»Am deutlichsten sieht man das seinem Gesicht an. Er will es machen. Er will auf die Straße, ein bißchen die Sau rauslassen, ein paar große Namen runterputzen. Und …« Steve
mußte an seinen Lieblingsfilm denken, den er sich ungefähr
jedes Jahr einmal auf Video ansah. Sie nannten ihn Hombre mit
Paul Newman und Richard Boone. Er lächelte verhalten.
»Und er sieht aus wie ein Mann, der immer noch ziemlich viel
Biß hat.«
»Ah.« Appleton hatte diese Bemerkung mit regelrechter
Verwirrung zur Kenntnis genommen. Steve hatte es nicht sonderlich überrascht. Wenn Appleton je Biß gehabt hatte, dachte
Steve, hatte er ihn wahrscheinlich in seinem zweiten Semester
in Exeter oder Choate verloren, oder wo immer er gewesen
war, um seine Blazer und Schulkrawatten zu tragen.
Harris hatte sich geräuspert. »Wenn wir das abgehakt haben, das letzte Gebot -«
Appleton stöhnte. Harris sah weiter Steve an und tat so, als
habe er es nicht gehört.
»Das fünfte und letzte Gebot«, hatte er wiederholt. »Du
sollst keine Anhalter in deinem Wagen mitnehmen. Weder
Männer noch Frauen sollst du mitnehmen, aber Frauen schon
gar nicht.«
Aus eben diesem Grund zögerte Steve Ames wahrscheinlich nicht einen Augenblick, als er kurz vor Ely das Mädchen
am Straßenrand stehen sah
- das magere Mädchen mit der
schiefen Nase und dem in zwei verschiedenen Farben getönten Haar. Er fuhr einfach rechts ran und hielt.
2
Sie machte die Tür auf, stieg aber nicht gleich in die Kabine
ein, sondern sah ihn nur mit großen blauen Augen über den
mit Landkarten bedeckten Beifahrersitz hinweg an. »Sind Sie
ein netter Kerl?« fragte sie.
Steve dachte nach, dann nickte er. »Ja, ich schätze schon«,
antwortete er. »Ich rauche zwei bis drei Zigarren am Tag,
aber ich hab nie ‘n Hund getreten, wenn er nicht größer
war als ich, und ich schick meiner Mama alle sechs Wochen
Geld.«
»Sie werden doch nicht versuchen, mich anzumachen oder
so?«
»Nee«, sagte Steve amüsiert. Ihm gefiel, wie sie ihm mit
ihren großen blauen Augen starr ins Gesicht sah. Sie sah aus
wie ein kleiner Junge, der gerade die Witzseite liest. »Was das
angeht, kann ich mich ganz gut beherrschen.«
»Und Sie sind kein irrer Serienkiller oder so was?«
»Nein, aber Herr im Himmel, glauben Sie, ich würd
Ihnen
das sagen, wenn ich einer wäre?«
»Ich würd’s Ihnen an den Augen ansehen«, sagte das magere Mädchen mit dem zweifarbigen Haar zu ihm, und obwohl sie sich durchaus ernst anhörte, lächelte sie zaghaft. »Ich
hab den sechsten Sinn. Nicht besonders stark, aber er ist da,
Kumpel. Er ist wirklich und wahrhaftig da.«
Ein Kühllaster brauste vorbei, und der Fahrer drückte die
ganze Zeit auf die Hupe, obwohl Steve so weit rechts rangefahren war, daß der kompakte Ryder fast auf der Böschung
stand, und die Straße war in beiden Richtungen frei. Aber kein
Grund zur Überraschung. Steve hatte die Erfahrung gemacht,
daß manche Männer einfach die Finger nicht von der Hupe
oder ihren Pimmeln lassen konnten. Sie drückten ständig entweder das eine oder das andere.
»Genug gefragt, Lady. Wollen Sie mitfahren oder nicht? Ich
muß wieder los.« In Wahrheit war er dem Boß viel näher als
dem Boß wahrscheinlich recht gewesen wäre. Marinville gefiel die Vorstellung, auf sich allein gestellt durch Amerika zu
fahren, Mr. Free Bird, habe Füller, will reisen, und Steve
glaubte, daß er genau so sein Buch schreiben würde. Das war
auch schön so - großartig, total cool. Aber er, Steven Andrew
Ames aus
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