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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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gefragt, ob ich ihn sehen könnte«, sagte David
leise. »Mrs. ROSS hat es erlaubt.« Sein Dad hielt immer noch
seine Hand. Das war okay. Er hatte seine Mom und seinen Dad
sehr gern, und es tat ihm sehr leid, daß sie das alles so belastete, aber für ihn gab es nicht den geringsten Zweifel daran,
was er tun mußte. Es war, als würde eine Macht von außerhalb
ihn leiten. So wie ein älterer, klügerer Mensch einem kleinen
Jungen die Hand führen würde, um ihm zu helfen, eine Ziege
oder ein Huhn oder einen Schneemann zu malen.
»Was denkt sie sich dabei?« fragte Ellen Carver mit gepreßter Stimme. »Was, zum Teufel, denkt sie sich bloß dabei, das
würd ich gern wissen.«
»Sie hat gesagt, sie ist froh, daß ich komme, um mich zu
verabschieden. Sie hat gesagt, man wird dieses Wochenende
die Herz-Lungen-Maschine abschalten, wenn seine Großeltern sich verabschiedet haben, und sie wäre froh, wenn ich
vorher komme.«
Am folgenden Tag nahm sich Ralph nachmittags frei und
holte seinen Sohn in der Schule ab. David hatte am Bordstein
gestanden, und seine blaue VOM-UNTERRICHT-FREIGESTELLT-Karte ragte aus der Tasche seines Hemds heraus. Als
sie im Krankenhaus ankamen, fuhren sie mit dem langsamsten Fahrstuhl der Welt zur Intensivstation im vierten Stock
hinauf. Unterwegs versuchte David, sich darauf vorzubereiten, was er sehen würde. Erschrick nicht, David, hatte Mrs. ROSS am Telefon gesagt. Er bietet keinen sehr schönen Anblick. Wir
sind sicher, daß er keine Schmerzen empfindet - dafür ist er zu weit
weg -, aber er bietet keinen sehr schönen Anblick.
»Soll ich mit dir reinkommen?« hatte sein Vater ihn vor der
Tür des Zimmers gefragt, in dem Brian lag. David hatte den
Kopf geschüttelt. Er befand sich immer noch im kraftvollen
Griff des Gefühls, das ihn erfüllte, seit seine leichenblasse
Mutter ihm von dem Unfall erzählt hatte: das Gefühl, als
würde jemand mit mehr Erfahrung als er seine Hand führen;
jemand, der für ihn tapfer sein konnte, sollte ihn sein eigener
Mut verlassen.
Er hatte das Zimmer betreten. Mr. und Mrs. ROSS waren da,
sie saßen auf roten Vinylsesseln. Sie hielten Bücher in den
Händen, die sie nicht lasen. Brian lag in dem Bett am Fenster,
von Maschinen umgeben, die piepsten und grüne Kurven
über Videomonitore wandern ließen. Eine leichte Decke bedeckte ihn bis zur Taille. Darüber trug er ein dünnes Krankenhausnachthemd, das offen war und auf beiden Seiten seiner Brust herunterhing wie kitschige Engelsflügel in einer
Schulaufführung. Darunter waren alle möglichen Gummisaugnäpfe an ihm befestigt, und an seinem Kopf, unter der
breiten weißen Mütze eines Verbands, noch mehr. Unter dieser Mütze kam eine lange Schnittwunde zum Vorschein, die
sich über Brians linke Wange bis zum Mundwinkel erstreckte,
wo sie sich wie ein Angelhaken nach oben krümmte. Der
Schnitt war mit einem schwarzen Faden genäht worden. Auf
David hatte das wie etwas aus einem Frankensteinfilm gewirkt, einem der alten mit Boris Karloff, die Samstag nachts
gezeigt wurden. Wenn er bei Brian übernachtet hatte, waren
sie manchmal lange aufgeblieben, hatten Popcorn gegessen
und sich diese Filme angesehen. Sie liebten die alten Schwarzweißmonster. Einmal, während sie Die Mumie sahen, hatte
sich Brian zu David umgedreht und gesagt: »O Scheiße, die
Mumie ist hinter uns her, laßt uns alle ein bißchen schneller
gehen.« Das war dumm, aber um Viertel vor eins kann für Elfjährige alles komisch sein, und die beiden hatten gelacht wie
nicht gescheit.
Brians Augen sahen vom Krankenhausbett zu David auf.
Und durch ihn hindurch. Sie waren offen und so leer wie
Klassenzimmer im August.
David, der sich mehr denn je vorkam, als würde er sich
nicht selbst bewegen, sondern bewegt werden, hatte den
magischen Kreis der Maschinen betreten. Er betrachtete die
Saugnäpfe an Brians Brust und Schläfen. Er betrachtete die
schwarzen Kabel, die aus den Saugnäpfen herauskamen. Er
betrachtete die seltsam mißgestaltete Form des helmförmigen
Verbands an der linken Seite von Brians Kopf - die Seite, wo
der Schnitt verlief -, die wirkte, als wären die Konturen darunter drastisch verändert worden. David vermutete, daß es so
war. Wenn man gegen ein Haus aus Ziegelsteinen prallte,
mußte etwas nachgeben. Ein Schlauch führte in Brians rechten
Arm, ein anderer kam aus seiner Brust heraus. Die Schläuche
führten zu Beuteln voll Flüssigkeit, die an Infusionsständern
hingen. Brian hatte ein Plastikdingsda in der Nase und ein
Band am

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