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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Gegenwart«, hatte Reverend Martin geantwortet und plötzlich vor dem Fenster etwas Interessantes entdeckt, das er sich ansehen mußte. Schließlich richtete er den Blick wieder auf seine Frau. »Und was das andere
angeht, der Herr ist mein Hirte.«
Er traf sich weiter Sonntag nachmittags mit David. Er selbst
war noch keine dreißig und machte zum erstenmal die Erfahrung, welche Freude es bereitete, mit einem völlig unbeschriebenen Blatt zu arbeiten. Er hörte nicht auf, Seagram’s in
seinen Tee zu mischen, eine liebgewordene Sonntagnachmittagstradition, aber er ließ die Tür seines Arbeitszimmers offen
stehen, wenn er und David allein waren. Bei diesen Unterhaltungen lief immer der Fernseher, immer ohne Ton und auf
ein sonntagnachmittägliches Sportereignis eingestellt
- stummer Football, als David zum erstenmal zu Reverend Martin
kam, dann stummer Basketball, dann stummer Baseball.
Während eines stummen Baseballspiels zwischen den Indians und den As war es, als David dasaß und über die Geschichte von Moses und dem Wasser aus dem Fels nachdachte. Nach einer Weile sah er vom Bildschirm auf und sagte:
»Gott ist nicht sehr zum Vergeben geneigt, oder?«
»Aber gewiß doch«, sagte Reverend Martin, der sich ein
wenig überrascht anhörte. »Das muß er, weil er so hohe Ansprüche stellt.«
»Aber er ist auch grausam, oder nicht?«
Gene Martin hatte nicht gezögert. »Ja«, sagte er. »Gott ist
grausam. Ich habe Popcorn, David
- möchtest du, daß ich
welches mache?«
Nun schwebte er in der Schwärze und suchte nach Reverend Martins grausamen Gott, dem Gott, der Moses den Zutritt ins Gelobte Land verwehrt hatte, weil Moses ein einziges
Mal Gottes Werk als sein eigenes ausgegeben hatte; der ihn,
David, irgendwie benutzt hatte, um Brian ROSS zu retten, und
der dann Davids süße kleine Schwester getötet und den Rest
von ihnen in der Gewalt eines riesenhaften Wahnsinnigen mit
den Augen eines Koma-Patienten gelassen hatte.
Es waren andere Stimmen an dem dunklen Ort zu hören,
wohin er sich zum Beten begab; er hörte sie ab und zu, wenn
er dort war - normalerweise in weiter Ferne, wie die undeutlichen Stimmen, die man manchmal bei Ferngesprächen im
Hintergrund hörte, aber manchmal auch ziemlich deutlich.
Heute war eine von ihnen allerdings sehr deutlich.
Wenn du beten willst, dann bete zu mir, sagte die Stimme. Warum solltest du zu einem Gott beten, der kleine Schwestern
tötet? Du wirst nie wieder darüber lachen können, wie komisch sie
ist, sie kitzeln, bis sie quiekt, oder sie an den Zöpfen ziehen. Sie ist
tot, und du und deine Eltern, ihr seid im Gefängnis. Wenn er
wiederkommt, der verrückte Cop, wird er euch wahrscheinlich alle
drei töten. Und die anderen auch. Das hat dein Gott getan, und was
erwartest du anderes von einem Gott, der kleine Schwestern tötet,
der seinen eigenen Sohn getötet hat ? Wenn man es genau
betrachtet, ist er so verrückt wie dieser Cop. Und doch kniest du
vor ihm. Los doch, Davey, komm zu dir. Werd vernünftig. Bete zu
mir. Ich bin wenigstens nicht verrückt.
Diese Stimme erschütterte ihn nicht
— jedenfalls nicht sehr.
Er hatte sie früher schon gehört, möglicherweise in dem ausgeprägten Wunsch, seinen Eltern den Eindruck zu vermitteln,
daß er Brian aus den Tiefen seines Komas zurückgerufen
hatte. Bei seinen täglichen Gebeten hörte er sie deutlicher, persönlicher, und das hatte ihm zu schaffen gemacht, aber als er
Reverend Martin erzählte, daß sich diese Stimme manchmal
wie in ein Telefongespräch einschaltete, hatte dieser nur gelacht. »Wie Gott neigt auch Satan dazu, am deutlichsten in unseren Gebeten und Meditationen zu uns zu sprechen«, sagte
er. »Da sind wir am empfänglichsten, haben den unmittelbarsten Kontakt zu unserem Pneuma.«
»Pneuma? Was ist das?«
»Die Seele. Der Teil von dir, der sich bemüht, das von Gott
gegebene Potential auszuschöpfen und ewig zu sein. Der Teil,
um den Gott und Satan in diesem Augenblick kämpfen.« Er hatte David ein kurzes Mantra beigebracht, das er in solchen
Augenblicken anwenden sollte, und darauf griff David jetzt zurück.
Schau in mich hinein, sei in mir, dachte er immer wieder. Er
wartete darauf, daß die Stimme des anderen verschwinden würde,
aber er mußte auch die Schmerzen wieder überwinden. Sie kamen
immer wieder zurück, wie Krämpfe. Es tat so weh, daran zu denken,
was Törtchen zugestoßen war. Und ja, er nahm es Gott wirklich
übel, zugelassen zu haben, daß der verrückte Cop sie die Treppe

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