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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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nicht, weil seine Eltern
durchgedreht sind, sondern weil er einfach nicht mehr da
war. Ich weiß nicht, was passiert ist, und es ist mir auch egal.
Er ist wach, nur das interessiert mich.«
»Mehr muß dich auch nicht interessieren, Liebling«, sagte
seine Mutter und nahm ihn kurz und heftig in die Arme.
»Ich habe Hunger«, sagte er. »Was gibt’s zum Essen?«
3
    Nun schwebte er blind, aber nicht taub, in der Schwärze und
horchte nach der inneren Stimme, die Reverend Gene Martin
die leise, stille Stimme Gottes nannte. Reverend Martin hatte
sich Davids Geschichte in den vergangenen zehn Monaten nicht
nur einmal, sondern viele Male aufmerksam angehört, und er
schien besonders zufrieden darüber zu sein, wie David nach der
Unterhaltung mit Mr. ROSS mit seinen Eltern gesprochen hatte.
»Du hast vollkommen recht gehabt«, hatte Reverend Martin gesagt. »Es war keine andere Stimme, die du am Ende
gehört hast, schon gar nicht die Stimme Gottes … außer in
dem Sinne, daß Gott immer durch unser Gewissen zu uns
spricht. Weltlich gesinnte Menschen glauben häufig, daß das
Gewissen nur eine Art Zensor ist, David, ein Ort, wo gesellschaftliche Sanktionen gespeichert sind, aber in Wirklichkeit
ist es eine Art Außenseiter, der uns oft zu guten Lösungen
greifen läßt, auch in Situationen, die unser Verständnis weit
übersteigen. Kannst du mir folgen?«
»Ich glaube schon.«
»Du hast nicht gewußt, warum es falsch war, dich mit der
Genesung deines Freundes zu brüsten, aber das war auch
nicht nötig. Satan hat dich in Versuchung geführt, wie er Moses in Versuchung geführt hat, aber in diesem Fall hast du getan, was Moses nicht tat oder nicht tun konnte: Du hast erst
verstanden und dann wider standen.«
»Was ist mit Moses? Was hat er getan?«
Und so erzählte Reverend Martin ihm die Geschichte, wie
die Israeliten, die Moses aus Ägypten führte, durstig wurden,
und wie Moses mit Aarons Stab auf einen Stein klopfte, so daß
Wasser daraus hervorsprudelte. Und als die Israeliten ihn
fragten, wem sie dafür danken sollten, sagte Moses, sie könnten ihm danken. Der Reverend trank aus einer Teetasse, auf
der GLÜCKLICH, FRÖHLICH UND FREI geschrieben stand,
während er die Geschichte erzählte, aber David fand, daß der
Inhalt der Tasse nicht gerade nach Tee roch. Er roch mehr wie
der Whiskey, den Davids Vater manchmal trank, wenn er die
Spätnachrichten sah.
»Nur ein kleiner Fehltritt in einem langen Leben voll harter
Arbeit im Dienst des Herrn«, sagte Reverend Martin fröhlich,
»aber Gott hat ihn deswegen nicht in das Gelobte Land gelassen. Aaron hat sie über den Fluß geführt - die ganze wüste,
undankbare Bande. Wahrscheinlich war Moses froh, daß er
sie losgeworden war.«
Diese Unterhaltung fand an einem Sonntagnachmittag im
Juni statt. Da kannten die beiden sich schon eine ganze Weile
und hatten sich aneinander gewöhnt. David hatte es sich zur
Angewohnheit gemacht, morgens in die Kirche zu gehen, und
Sonntag nachmittags ins Pfarrhaus der Methodistenkirche, wo
er eine Stunde oder so mit Reverend Martin in dessen Arbeitszimmer sprach. David freute sich auf diese Begegnungen, und
Gene Martin ebenfalls. Er war außerordentlich eingenommen
von dem Kind, das eben noch ein gewöhnlicher Junge zu sein
schien und im nächsten Moment viel reifer, als es seinem Alter
entsprach. Und da war noch etwas: Er glaubte, daß David Carver von Gott berührt worden war und daß die Wirkung dieser
Berührung vielleicht immer noch anhielt.
Ihn faszinierte die Geschichte von Brian ROSS , und wie Brians Schicksal David, einen für das späte zwanzigste Jahrhundert typischen religiösen Analphabeten, dazu gebracht hatte,
nach Antworten zu suchen … nach Gott zu suchen. Er erzählte seiner Frau, daß Davids Sinneswandel die einzige echte
Bekehrung sei, die ihm je gelungen war, und das Schicksal seines Freundes das einzige moderne Wunder, von dem er je
gehört hatte und das er tatsächlich glauben konnte. Brian
hatte den Unfall unbeschadet überstanden, abgesehen
von
einem leichten Hinken, und die Ärzte sagten, selbst das könne
binnen eines Jahres verschwunden sein.
»Großartig«, hatte Stella Martin geantwortet. »Das wird ein
Trost für mich und das Baby sein, wenn dein junger Freund
ein falsches Wort über seine religiöse Unterweisung fallenläßt
und du wegen Kindesmißbrauchs als Angeklagter vor Gericht stehst. Du mußt vorsichtig sein, Gene - und du bist verrückt, in seiner Gegenwart zu trinken.«
»Ich trinke nicht in seiner

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