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Dexter

Dexter

Titel: Dexter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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zuckte die Achseln, ehe sie den Blick wieder auf die Akte senkte. »Zweimal wurde er verhaftet, weil er am Tatort war, als jemand unter verdächtigen Umständen zu Tode kam, und man hätte ihn zumindest wegen Totschlags anklagen müssen, aber sein alter Herr hat ihn beide Male freigekauft.« Sie klappte die Akte zu und schlug mit dem Handrücken dagegen. »Darin steht noch wesentlich mehr«, erklärte sie, »aber am Ende ist es immer dasselbe: Bobby steht mit Blut an den Händen da, und sein Vater kauft ihn frei.« Sie schüttelte den Kopf. »Er ist ein übler, abartiger Typ, Dexter. Er hat
mindestens
zwei Menschen umgebracht, und ich hege nicht den geringsten Zweifel, dass er genau weiß, wo die Mädchen sind. Wenn er sie nicht auch schon ermordet hat.«
    Vermutlich hatte Debs recht. Nicht weil ein Register früherer Verbrechen gegenwärtige Schuld bedeutet – ich hatte gespürt, wie sich beim Passagier ein verschlafenes, gemächliches Interesse regte, ein spekulierendes Heben der inneren Augenbraue, als Deborah aus der Akte vorlas, und der alte Dexter hätte den Namen Bobby Acosta mit absoluter Sicherheit in sein schwarzes Büchlein mit potenziellen Spielkameraden eingetragen. Doch selbstverständlich tat Dexter 2.0 solche Dinge nicht. Stattdessen nickte ich nur mitfühlend: »Du könntest recht haben«, räumte ich ein.
    Deborah riss den Kopf hoch. »
Könnte?
Ich
habe
recht. Bobby Acosta weiß, wo die Mädchen sind, und ich darf ihn wegen seinem alten Herrn nicht mal anrühren!«
    »Tja«, sagte ich im vollen Bewusstsein, dass ich ein Klischee von mir gab, aber mir fiel einfach nichts Besseres ein. »Gegen die Verwaltung kommt man eben einfach nicht an.«
    Deborah starrte mich einen Moment vollkommen ausdruckslos an. »Wow«, fauchte sie dann. »Hast du dir das selbst ausgedacht?«
    »Ach, komm schon, Debs«, sagte ich, zugegebenermaßen ein wenig gereizt. »Du hast gewusst, dass das passieren würde, und es ist passiert, worüber ärgerst du dich also eigentlich so?«
    Sie stieß die Luft aus, faltete die Hände im Schoß und betrachtete sie, was irgendwie schlimmer war als die beißende Entgegnung, mit der ich gerechnet hatte. »Ich weiß nicht. Vielleicht ist es nicht nur das.« Sie drehte die Hände um und betrachtete sie von der anderen Seite. »Vielleicht ist es … Ich weiß nicht. Alles.«
    Falls wirklich
alles
meine Schwester ärgerte, war es viel einfacher, ihre Seelenqual zu begreifen; für
alles
verantwortlich zu sein war wahrhaftig eine schwere Last. Aber meine beschränkte Erfahrung mit Menschen hat mich gelehrt, dass jemand, der behauptet, von
allem
bedrückt zu sein, normalerweise ein sehr spezifisches
Etwas
meint. Im Fall meiner Schwester hielt ich das für höchst wahrscheinlich, obwohl sie sich stets benahm, als hätte sie alles im Griff; ein spezielles Etwas nagte an ihr. Ich dachte daran, was sie über ihren Lebensgefährten Kyle Chutsky gesagt hatte, und nahm an, dass es um ihn ging.
    »Ist es Chutsky?«, fragte ich.
    Ihr Kopf fuhr hoch. »Was? Meinst du, ob er mich schlägt? Ob er mich betrügt?«
    »Nein, natürlich nicht«, wehrte ich mit erhobener Hand ab, für den Fall, dass sie mich schlagen wollte. Ich wusste, dass er es niemals wagen würde, sie zu betrügen – und die Vorstellung, dass jemand meine Schwester schlug, war lachhaft. »Es ist nur wegen dem, was du neulich gesagt hast. Über, du weißt schon, ticktack, die biologische Uhr.«
    Sie sank wieder in sich zusammen und betrachtete die Hände in ihrem Schoß. »Mhm, das habe ich gesagt, oder?« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Tja, es stimmt immer noch. Und der verdammte Chutsky – er will nicht mal darüber sprechen.«
    Ich sah meine Schwester an, und ich muss zugeben, dass meine Gefühle mir keine Ehre machten, denn meine erste bewusste Reaktion auf Deborahs Offenbarung war der Gedanke:
Wow! Ich spüre tatsächlich Empathie, ein wahrhaft echtes menschliches Gefühl!
Denn Deborahs anhaltender Niedergang zu einem weichen Pudding aus Selbstmitleid hatte mich endlich erreicht, tief unten auf der nagelneuen menschlichen Ebene, die Lily Anne eröffnet hatte, und ich stellte fest, dass ich nicht einmal in meinem Gedächtnis nach einer Antwort aus irgendeiner alten Seifenoper kramen musste. Ich fühlte etwas, und das beeindruckte mich sehr.
    Und so erhob ich mich, ohne nachzudenken, von meinem Stuhl und ging zu ihr hinüber. Ich legte ihr die Hand auf die Schulter, drückte sie sanft und sagte: »Das tut mir leid,

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