DHAMPIR - Blutsverrat
als einzige anwesende Person die Falschheit ihres Lächelns erkannte. Er hatte sie Zurückhaltung gelehrt, ihr beigebracht, alles für sich zu behalten. Emêl lebte noch, während viele andere von Darmouths Adligen und Offizieren ihr Leben auf einem Spieß an den Mauern der Festung beendet hatten. Dort hingen sie, bis ihre Leichen so stark verwest waren, dass sie in den See fielen.
Jedes Mal, wenn sich Darmouth auf seinem hochlehnigen Stuhl bewegte, roch Hedí Moschus und Schweiß. Er griff nach der Weinflasche, und Hedí zuckte zusammen, als sein Arm dabei über ihren Handrücken strich. Sein sehniger Arm sah aus wie eine dicke Holzstange, um die man ein Seil geschlungen hatte, und grau meliertes Haar wuchs darauf. Sie widerstand der Versuchung, ihm die Gabel ins Handgelenk zu rammen.
Hedí lächelte und gab sich sittsam wie immer.
Darmouth erwiderte das Lächeln nicht. Stattdessen glitt sein Blick an ihrem burgunderroten Satinkleid hinab und dann zurück zu ihren schulterlangen schwarzen Locken. Emêl hörte auf zu kauen, als er Darmouths Starren bemerkte.
Emêl hatte das Kleid vorgeschlagen, und Hedí bedauerte jetzt, darauf eingegangen zu sein. Allein in seiner Gesellschaft hätte sie es gern getragen, aber es war zu tief ausgeschnitten für einen mörderlichen Lüstling wie Darmouth. Einem solchen Mann zu gefallen war genauso gefährlich, wie ihm zu trotzen.
Sieben Offiziere saßen mit am Tisch, unter ihnen Leutnant Omasta, Kommandeur von Darmouths persönlicher Garde. Zwischen den einzelnen Bissen zupfte Omasta voller Unbehagen an seinem blonden Bart und hielt die Gabel ungeschickt wie eine Schaufel. Normalerweise aßen diese Männer im Speisesaal von einem gemeinsamen großen Teller oder aus dem Kochtopf und sprachen dabei über militärische Dinge. Das ganze Theater mit Tablett und Wein, der aus erbeuteten Silberpokalen getrunken wurde, schien nur für Hedí inszeniert worden zu sein.
Lord Darmouth deutete auf einen gebratenen, mit Pilzen garnierten Fasan.
»Bitte, nehmt noch etwas, Verehrteste«, sagte er mit tiefer, rauer Stimme.
Vielleicht sollte sie sich geschmeichelt fühlen, denn es geschah nur selten, dass er das Wort »bitte« verwendete. Sorge verdrängte ihren Abscheu.
»Gleich«, erwiderte sie. »Zuerst möchte ich noch etwas Wein.«
Darmouth versuchte, mit ihr zu plaudern. »Wo seid Ihr und Euer Gemahl Emêl untergekommen?«
»In der Bronzenen Glocke.«
»J a … ein guter Gasthof.«
Leere Worte, die nichts bedeuteten. Wenn Emêl nach Venjètz gerufen wurde, wohnten sie immer in der Bronzenen Glocke. Kein Adliger, der die Stadt besuchte, wurde in der Festung untergebrach t – und wollte es auch gar nicht.
Darmouth schenkte Hedí Wein ein, biss dann in einen Fasanschenkel und sprach mit vollem Mund.
»Emêl, ich möchte, dass Tarôvli noch vor dem Winterfest gefasst wird. Ich will seinen Kopf, und seine Offiziere sollen ebenfalls zu Krähenfutter werden.«
Die Worte waren so beiläufig gesprochen, dass Hedí nicht sofort verstand. Dann versteifte sie sic h – und entspannte sich gleich wieder, um nicht aufzufallen.
»Natürlich, Herr«, sagte Emêl langsam. »Ich habe Truppen aufmarschieren lassen und Hauptmann Altani aus dem Norden zurückgerufen. Diese Angelegenheit ist noch vor dem nächsten Mond geregelt.«
Darmouth brummte zustimmend. »Ich habe schon genug Schwierigkeiten mit dieser Hexe Lùkina an meiner Westgrenze.«
»Ja, Herr«, sagte Emêl schneller. »Ich habe die meisten meiner Männer unter den Befehl Eurer dortigen Offiziere gestellt, damit sie ihnen bei den Patrouillen helfen.«
Noch mehr Patrouillen. Hedí wusste, dass hinter den häufiger werdenden Überfällen an Darmouths Grenzen nicht die üblichen Provokationen der anderen Provinzen steckten. Die übrigen Tyrannen der Kriegsländer beobachteten, wie sich Darmouth mit jedem verstreichenden Jahr mehr an der Macht festklammerte, die dennoch geringer wurde, weil die Bevölkerung schrumpfte und immer weniger Männer zwangsrekrutiert werden konnten.
Lùkina Vallo war nicht die einzige Gefahr. Gerüchten zufolge zog Dusan Abosi in der Nähe von Darmouths Nordgrenze Truppen zusammen. Und Tarôvlis Verrat war ein weiteres Zeichen von Niedergang und Schwäche. Darmouths Adlige wurden nacheinander zu hungernden Hunden, die übereinander herfielen, um zu überleben. Sein Herrschaftsgebiet zerfiel von innen heraus, und draußen warteten die Wölfe der
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