Dicke Hose (German Edition)
Das soll wohl darüber hinwegtäuschen, dass sie sich gerade von der ersten Verkäuferin zur Geschäftsführerin upgegradet hat. Interessant. Wird wirklich Zeit, dass hier mal einer nach dem Rechten sieht.
Ich versuche, mir Respekt zu verschaffen, indem ich ihren Blick erwidere, fest und unerbittlich. Für ganze drei Sekunden. Dann übermannt mich aus heiterem Himmel eine Hitzewelle.
«U-äh …», gebe ich urwaldmäßig von mir. Zu mehr bin ich nicht fähig, denn das Blei aus meinem Kopf scheint sich blitzartig im ganzen Körper verteilt zu haben. Mein Arm lässt sich nicht mehr heben. Sogar meine Zunge fühlt sich zentnerschwer an.
Was ist nur los?
Ich verwerfe die Idee, Victoria Wendt die Hand zu geben. Stattdessen scanne ich sie ab: ein durchaus sympathisches Gesicht, schlanker Hals, der von einem schwarzen Rolli verdeckt wird, dann folgt ein mit Ketten behangener, aber wohlgeformter Busen, darunter ein enger schwarzer Rock und schließlich schwarze Strumpfhosen, die in schwarzen, hochhackigen Stiefeln stecken. Keine Moonboots, keine Sonnenbrille, kurze Fingernägel. Und wenn sie keine überformatige Handtasche trägt, könnte ihr Divenfaktor gegen null gehen. Kaum zu glauben, schließlich arbeitet sie auf dieser Taschenhalde.
Nur mit Mühe schaffe ich es, meinen bleischweren Kopf wieder anzuheben und Victoria Wendt ins Gesicht zu schauen. Ihre Lippen öffnen sich fragend und verleihen der Situation etwas unangemessen Erotisches. Aus Angst, einen weiteren Urwaldlaut von mir zu geben, presse ich die Zähne aufeinander und starre ihr stumm, wie ein dysfunktionaler Steinzeitmensch, in die Bernsteinaugen.
«Vic, das hier ist Herr … Held», mischt sich jetzt der Taschenstreichler ein. «Er … äh … will den Geschäftsführer vertreten.»
Idiot! Muss der Kerl denn gleich mit der Tür ins Haus fallen? So wie er die Worte betont, klingt es außerdem, als wäre ICH der Bekloppte von uns dreien.
Um gar nicht erst einen falschen Verdacht aufkommen zu lassen, erkläre ich schnell: «Florian Micolucci schickt mich», und hoffe, dass damit alles gesagt ist. Die beiden werden wohl noch wissen, wer ihnen ihr Gehalt zahlt. Und in der Tat löst die bloße Erwähnung des Namens Micolucci bei den beiden eine sofortige Reaktion aus. Während Mr. Spock spöttisch den Mund verzieht, legt Fräulein Wendt nachdenklich die Stirn in Falten. Vermutlich schämt sie sich, weil ich sie bei ihrer Hochstapelei erwischt habe.
Nach einem Moment des Schweigens, in dem ich unauffällig versuche, mir die feuchten Hände an der Jeans abzuwischen, scheint sie einzusehen, dass ich hier ab sofort die Hosen anhabe. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sogar sagen, sie freut sich.
«Ach, das ist ja toll. Dann sind Sie also der Top-Verkäufer, den Florian angekündigt hat?»
«Äh … ja. Ganz genau, der bin ich. Der Top-Verkäufer .» Ich werfe ihrem Kollegen einen erhabenen Seitenblick zu.
«Das ist ja wunderbar!»
«Wunderbar, ja, das ist … äh … es.»
Was rede ich denn da? Sind das vielleicht erste Anzeichen einer Bleivergiftung?
Zumindest Victoria Wendt scheint von dem Wunder meines Erscheinens überzeugt zu sein. Na ja, jedenfalls so gut wie. Mit schiefgelegtem Kopf lässt sie ihren Blick erst langsam an mir herunter- und anschließend genauso langsam wieder hinaufwandern. Als sie mir anschließend in die Augen sieht, hat es den Anschein, als müsse sie sich ein Grinsen verkneifen.
Mir wird schon wieder heiß. Was soll denn dieses Abscannen? Gefällt ihr etwa mein Outfit nicht? Dabei habe ich mich heute Morgen bewusst für Jeans und Jeanshemd entschieden. Also, so bewusst es jemandem möglich ist, dessen bester Anzug sich in der Reinigung befindet. Herzlichen Dank für die blutige Nase, Britney! Den zweitbesten Anzug konnte ich nicht finden, und einen drittbesten besitze ich nicht. Aber Jeans gehen ja bekanntlich immer. Zeitlos und somit modern. Gleichzeitig ist es die klassische Arbeiterkluft, die sofort zeigt, dass ich ein Chef bin, der zupacken kann, und nicht von Standesdünkeln beherrscht werde.
«Sie wissen ja, wir brauchen hier dringend Unterstützung», macht Victoria noch einmal auf ihre missliche Lage aufmerksam. «Nicht nur, dass wir unterbesetzt sind, es ist außerdem noch das Event, das am Samstag ansteht.» Plötzlich lacht sie und schlägt sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. «Aber natürlich wissen Sie über alles längst Bescheid, Florian hat sicher alles Wissenswerte erklärt.
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