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Dickner, Nicolas

Dickner, Nicolas

Titel: Dickner, Nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolski
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die trockenen Kleider, die auf einem Stuhl liegen, und segelt Richtung Ausgang, die Füße in die Beutel von Postwurfkatalogen gewickelt.
    Als er die Wohnung verlässt, rennt er direkt in den Briefträger. Die Post dieses Tages beläuft sich auf zwei mit unzähligen blauen und schwarzen Stempeln bedruckte Briefe, auf denen die Adressen zu violetten Seeanemonen zerlaufen. Bilanz des Sommers: In Little Smoky ist seine Mutter nicht vorbeigekommen, und in Jean Côté gibt es keine Poststelle. Was den Brief nach Triangle angeht, so hat der sich anscheinend in Luft aufgelöst.
    Noah kommt im Laufschritt in die Bibliothek geeilt, dicht gefolgt vom prasselnden Regen. Das Herbst-Trimester fängt morgen an und eine Schlange durchweichter Studenten zieht sich vor dem Schalter für Studiendarlehen in die Länge, wie eine Kolonne Bedürftiger vor den Baracken des Roten Kreuzes.
    Im fünften Stock, in der Abteilung Meereswissenschaften ist keine Menschenseele.
    Noah umrundet den Tisch mehrere Male, wobei er mit wachsender Ungläubigkeit in die Leere starrt. Von Arizna bleibt nichts weiter als ein gefährlich hoher Stapel Bücher.

Die Giftkammer
    Am späten Vormittag des 3. September 1994 tauche ich in dieser Geschichte kurz wieder auf. Die Präzision ist belanglos und mein Auftritt wird angesichts des Äquinoktialgewitters, das drei Wochen verfrüht auf Montréal niedergeht, von niemandem bemerkt werden. Vor der Buchhandlung kühlen zehn Milliarden Liter Wasser unter großem Zischen den Asphalt auf der Rue Saint-Laurent.
    Dieses erstaunliche Tiefdruckgebiet ist von der Größenordnung der vorausgegangenen Hitzewelle. Zwei Wochen zuvor war unser Thermometer auf über 50 Grad Celsius angestiegen, Rekord in jeder Hinsicht, das Messen mussten wir aufgeben, weil das Quecksilber aus dem Glasröhrchen spritzte. Jetzt ist es Herbst – ein abrupter und kataklystischer Herbst. Ich sehe dem Wasser zu, wie es Seeschlangen auf das Schaufenster zeichnet, und drehe Däumchen in der Erwartung unwahrscheinlicher Kunden – denn wer wäre so verrückt, sich bis hierher vorzuwagen, am Montagmorgen des Weltuntergangs?
    In genau diesem Augenblick, nicht ohne eine gewisse Ironie, klingelte das Glöckchen über der Eingangstür.
    Ich erkannte sofort den Regenmantel mit den geschwärzten Nähten und den alten, abgewetzten Seesack: Es war eine Stammkundin. Sie nimmt die Kapuze ab und strubbelt sich mit nervösen Fingern durch die kurz geschnittenen Haare. Ich grüße sie mit einer kleinen Handbewegung. Sie antwortet mit einem Lächeln.
    Ich habe oft versucht, Bekanntschaft mit dieser rätselhaften Kundin zu machen, ohne Erfolg. Sie lächelt höflich, boykottiert aber jeden Versuch, sich ihr anzunähern. Ich kenne nicht einmal ihren Vornamen. Man muss auch sagen, dass ich immer Schwierigkeiten hatte, mit Leuten anzubändeln. Ich bin, so scheint es, zu verschlossen, zu häuslich. Keine meiner wenigen Geliebten hat jemals verstehen können, wie ich mit der Stelle als Buchhändler zufrieden sein konnte. Früher oder später fragten sie sich alle – und fatalerweise auch mich – warum ich nicht reisen, studieren, Karriere machen oder ein besseres Gehalt haben wollte. Es gibt keine einfache Antwort auf diese Fragen. Die meisten Menschen haben eine festgelegte Meinung zum freien Willen: Es gibt das Schicksal (oder wie man es auch immer nennt) oder es gibt es nicht. Keine Näherungswerte, keine Unschlüssigkeiten. Diese Überlegung erscheint mir zu einfach. Meiner Auffassung nach ist es mit dem Schicksal so wie mit der Intelligenz, der Schönheit oder den Lymphozyten vom Typ Z+: Einige haben mehr davon als andere. Was mich angeht, so leide ich an einer Mangelerscheinung: Ich bin ein Buchhändler ohne Geschichte, ohne eigenen Werdegang; mein Leben gehorcht der Anziehungskraft der Bücher, das zarte Magnetfeld meines Schicksals erfährt Ablenkung durch diese tausendfach mächtigeren und spannenderen Schicksale.
    Das ist keine sehr gefällige Bewertung meiner Situation, aber man kann mir nicht den Vorwurf machen, überheblich zu sein.
    Die junge Frau knöpft ihren Regenmantel auf, reibt sich die Brille am Pullover trocken und bewegt sich in Richtung Informatik. Sie interessiert sich nur für diese zwei Abteilungen: Küche und Informatik. In der ersten kauft sie alle guten Titel über Fische und Meeresfrüchte. In der zweiten lässt sie heimlich Bücher unterm Arm, im Gürtel und hinter ihrem Rücken verschwinden. Vielleicht sind Computer in ihren Augen eine

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