Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland
schriftliche Erklärungen gegeben werden, um was es geht, und dass jeder, der die Grenze unserer Deutschen Demokratischen Republik verletzt – auch, wenn erforderlich – durch Anwendung der Waffe zur Ordnung gerufen wird.» Im «Neuen Deutschland» des darauf folgenden Tages fand sich eine Erklärung, in der sich DDR-Grenzeinheiten verpflichteten, «die Einhaltung der Gesetze der DDR zu sichern und, wenn es erforderlich ist, durch Anwendung der Waffe diejenigen zur Ordnung zu rufen, die diese Gesetze der Arbeiter- und Bauern-Macht mit Füßen treten wollen». Auf «Republikflucht» stand im schlimmsten Falle die Todesstrafe. Es kann kein Zweifel daran bestehen: Dieses Kapitalverbrechen – nichts anderes als ein staatlicher Mord – war angeordnet.
Die ersten Todesschüsse an der Mauer fielen am 24. August 1961, Opfer war der 24-jährige Günter Litfin. Der junge Mann war einer von damals rund 90.000 Berlinern, deren Wohnort und Arbeitsplatz durch die Sektorengrenze voneinander getrennt waren. Er wohnte im Osten und arbeitete im Westen, wo er das Schneiderhandwerk erlernte. Kurz vor dem Mauerbau hatte er beschlossen, in den Westen zu ziehen, jetzt machte ihm das SED-Regime einen Strich durch seine Lebensplanung. Da er annahm, dass die Wasserwege noch überwindbar seien, wollte er durch den Humboldthafen schwimmen. Er wurde entdeckt, Warnschüsse hielten ihn nicht vom Versuch ab, in die Freiheit zu gelangen, und 25 Meter vor dem rettenden Westufer traf Litfinein gezielter Schuss ins Genick. Der Mann versank im schmutzigen Wasser, erst drei Stunden später barg die Ost-Berliner Feuerwehr den Leichnam. Die Todesschützen erhielten Prämien.
40. Wieso wurde Honecker in Bonn mit allen Ehren empfangen? Am 7. September 1987 wurde SED-Generalsekretär Erich Honecker von Bundeskanzler Helmut Kohl vor dem Bonner Bundeskanzleramt mit allen militärischen Ehren empfangen. Für den «roten Zar» aus der DDR war es der Triumph seines Lebens, handelte es sich doch um eine De-facto-Anerkennung des Honecker-Regimes. Doch das tragische Ende sollte auf den Fuß folgen, denn «sein» Staat war, wie wir heute wissen, bereits dem Untergang geweiht und stand zwei Jahre später unausweichlich am Abgrund. Honecker war das erste Staatsoberhaupt der DDR, das nach Bonn reisen durfte. Er hielt sich fünf Tage in der Bundesrepublik auf und es war deutlich zu erkennen, wie sich der SED-Chef während des Besuches veränderte: Zu Beginn war er steif, wirkte unsicher und verbissen, dann wurde er von Tag zu Tag selbstsicherer und gelöster. Den privaten Höhepunkt stellte der Besuch im Saarland dar, wo die familiären Wurzeln Honeckers lagen.
Die Frage warum dem Diktator ausgerechnet während einer CDU/CSU-geführten Bundesregierung der rote Teppich ausgerollt wurde, ist durchaus berechtigt. In den 1970er Jahren hatte diese Partei die Neue Ostpolitik der sozialliberalen Koalition und den Grundlagenvertrag mit der DDR aufs Schärfste bekämpft und den Sozialdemokraten Verrat am Vaterland vorgeworfen. Warum nun dieses deutschdeutsche Techtelmechtel, das weiter ging als jemals zuvor? Honecker wäre gern schon früher, Anfang der 1980er Jahre, nach Bonn gekommen, doch Moskau hatte einen Riegel vorgeschoben. Seit dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan im Dezember 1979 war der zweite Kalte Krieg ausgebrochen und bald trachteten die USA danach, mit einem «Star-Wars-Programm» das Weltall aufzurüsten. Beide Supermächte versuchten, «ihre» Deutschen an die Kandare zu nehmen, es geschah jedoch etwas Unerwartetes. West- wie Ostdeutsche emanzipierten sich in gewissem Maße von der jeweiligen Vormacht und bemühten sich, von der Entspannungspolitik zu retten, was zu retten war. Eine deutsch-deutsche «Koalition der Vernunft» hat man dies genannt. In der Deutschlandpolitik herrschte große Kontinuität, man könnte auch von Routinemanagement sprechen. Weiterhin sollte am Stabilitätspakt festgehalten und die Zweistaatlichkeitakzeptiert werden. Nur gegen die gröbsten Menschenrechtsverletzungen im Schatten der Mauer protestierte die Bundesregierung noch. Selbst im Sommer 1989, nur wenige Monate vor dem Mauerfall, sagte Kanzler Kohl zu Honecker: «Ich möchte Ihnen noch einmal versichern, dass es das Interesse der Bundesregierung und mein ganz persönliches Interesse bleibt, die Beziehungen in einer vernünftigen Weise weiterzuentwickeln, wie wir es bei Ihrem Besuch vor zwei Jahren besprochen haben.» Kohl ist dafür nicht zu tadeln; auch er
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