Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
den ganzen Sechs Provinzen für den warmherzigen Empfang. Sie sagte, sie alle würden die Gelegenheit genießen, in unserem friedvollen Land zu rasten, weit weg von den Schrecken, die Chalced über ihre Heimat brachte. Dann erzählte sie eine Weile von allem, was sie hatten ertragen müssen: von den willkürlichen Angriffen auf ihre Schiffe, wodurch sämtliche Handelsverbindungen unterbrochen waren, die Lebensader Bingtowns, und von der Härte, die das für die Bevölkerung bedeutete. Sie sprach von Überfällen der Chalcedier auf die weiter außerhalb gelegenen Siedlungen von Bingtown.
»Ich habe gar nicht gewusst, dass sie Siedlungen haben«, flüsterte ich dem Narren zu.
»Nicht viele. Aber seit ihre Bevölkerung durch so viele freigelassene Sklaven gewachsen ist, versuchen sie, Ackerland zu finden.«
»Freigelassene Sklaven?«
»Schschsch«, antwortete der Narr. Er hatte Recht. Jetzt musste ich erst einmal zuhören; Fragen konnte ich später immer noch stellen. Ich drückte die Stirn gegen den kalten Stein der Wand.
Serilla verschaffte der Königin einen raschen Überblick über all die Schwierigkeiten, die ihnen Chalced im Augenblick bereitete. Das meiste davon war mir bekannt, und andere Probleme glichen jenen, die auch die Sechs Provinzen mit ihrem gierigen Nachbarn im Süden hatten. Chalcedische Plünderer, Grenzstreitigkeiten, Piratenangriffe auf Handelsschiffe, lächerliche Zölle für alle Kaufleute, die mit ihnen handeln wollten: All diese Beschwerden waren mir nur allzu gut vertraut. Doch dann begann Serilla davon zu berichten, wie Bingtown allen Sklaven im chalcedischen Einflussbereich die Freiheit versprochen und ihnen angeboten hatte, sie als Bürger von Bingtown aufzunehmen. Bingtown gestattete keinen Sklavenschiffen mehr, in seinem Hafen anzulegen, egal ob sie nun nach Chalced oder weiter südlich nach Jamailia segelten. Einer Abmachung mit Bingtowns neuem Verbündeten folgend, den sogenannten Pirateninseln, wurden Sklavenschiffe, die in Bingtown festmachten, geentert, ihre Ladung beschlagnahmt und die Sklaven freigelassen.
Diese Unterbrechung des chalcedischen Sklavenhandels war nun der Hauptgrund des Konflikts, und das wiederum hatte die alten Grenzstreitigkeiten zwischen dem Stadtstaat und seinem Nachbarn wieder aufflackern lassen. Serilla brachte ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass die Sechs Provinzen sich in beiden Punkten auf Bingtowns Seite stellen würden. Sie wusste, dass das Herzogtum Shoaks entflohene Sklaven in seinen Grenzen als freie Männer willkommen hieß, und dass Shoaks ebenfalls unter den territorialen Ansprüchen Chalceds litt. Konnte sie dann vielleicht auch hoffen, dass die Sechs Provinzen und somit die gnädigste Königin Kettricken das gewähren würde, was vorherige Gesandtschaften erbeten hatten? Eine Allianz und Unterstützung im Krieg gegen Chalced? Im Gegenzug hatte Bingtown den Sechs Provinzen viel zu bieten. Offener Handel und ein Anteil an Bingtowns lukrativem Handel mit den sogenannten Pirateninseln würden allen zugute kommen. Die gerade dargebotenen Geschenke repräsentierten nur einen kleinen Teil der Waren, auf die die Sechs Provinzen dann Zugriff hätten.
Königin Kettricken hörte Serilla ernst zu; doch am Ende von Serillas Ansprache sagte sie nichts Neues. Es war Chade in seiner Rolle als königlicher Ratgeber, der Kettrickens Standpunkt zum Ausdruck brachte. Die Wunder ihrer Handelsgüter waren weit bekannt und das berechtigtermaßen, doch selbst angesichts solcher Wunder durften die Sechs Provinzen nicht daran denken, in den Krieg zu ziehen. Er schloss seine Ausführungen mit der Bemerkung ab: »Unsere gnädigste Königin Kettricken muss stets zuvorderst das Wohl ihres eigenen Volkes im Auge haben. Ihr wisst, dass man unsere Beziehungen zu Chalced bestenfalls als ›angespannt‹ bezeichnen kann. Wir haben vielerlei Schwierigkeiten mit ihnen, und doch haben wir uns zurückgehalten, Krieg zu führen. Wir alle kennen das Sprichwort: ›Früher oder später wird es immer Krieg mit Chalced geben‹. Sie sind ein streitlustiges Volk. Aber Krieg ist teuer und zerstörerisch. Krieg später zu führen, ist immer besser als jetzt. Warum sollten wir um Bingtowns Willen ihren Zorn heraufbeschwören?« Chade ließ die Frage einen Augenblick lang im Raum stehen, dann machte er seinen Standpunkt deutlicher: »Was bietet Ihr den Sechs Provinzen, was wir früher oder später nicht ohnehin bekommen würden, egal wie der Krieg ausgeht?«
Mehrere Herzöge im Hintergrund
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