Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
atmete tief durch. »Wir könnten dieses Land vollständig unterwerfen, und die uralte Bedrohung wäre beseitigt. Wenn sie uns nicht als Nachbarn akzeptieren wollen, sollen sie unsere Herrschaft ertragen.«
Serilla, die Jamailianerin, unterbrach ihn plötzlich. »Händler Jorban, Ihr geht zu weit! Gnädigste Königin Kettricken, wir sind nur gekommen, um Euch Vorschläge zu unterbreiten, nicht um Euch zu einem Eroberungskrieg zu verleiten.«
Jorban biss die Zähne zusammen und ergriff sofort wieder das Wort, als Serilla schwieg. »Ich mache keine Vorschläge. Ich bin gekommen, um mit potentiellen Verbündeten zu verhandeln. Ich will diesem endlosen Krieg mit Chalced ein Ende machen, und ich werde offen aussprechen, was vielen Händlern auf dem Herzen liegt.« Seine blauen Augen funkelten, als er Kettrickens Blick begegnete. Er sprach ehrlich und mit Leidenschaft. »Lasst uns die chalcedischen Staaten vollständig unterwerfen und ihr Territorium zwischen uns aufteilen. Dadurch würden alle gewinnen. Bingtown hätte Land, das es bewirtschaften könnte, und die Bedrohung durch Chalced wäre ein für allemal vorbei. Der Herzog von Shoaks könnte sein Lehen erweitern, und er hätte keinen Feind mehr im Rücken, sondern einen Verbündeten und Handelspartner. Das Tor nach Süden stünde für die Sechs Provinzen weit offen.«
»Chalced vollständig unterwerfen?« Schon Kettrickens Tonfall verriet mir, dass sie über so etwas bis jetzt noch nicht einmal nachgedacht hatte; solch ein Eroberungskrieg widersprach ihrer Bergvolkart zutiefst. Doch im hinteren Teil des Raums grinste der Herzog von Shoaks über das ganze Gesicht. Das war ein Krieg, den er genießen würde, ein Festmahl der Rache, auf das er schon viel zu lange gewartet hatte. Er vergaß sich wohl ein wenig, als er die Faust hob und vorschlug: »Lasst uns auch den Herzog von Farrow in die Teilung mit einbeziehen. Vielleicht würde auch Euer Herr Vater, König Eyod der Berge, einen Teil abhaben wollen, meine Königin. Auch sein Land grenzt an Chalced, und allen Berichten zufolge, hat er seine Nachbarn nie sonderlich gemocht.«
»Haltet Frieden, Shoaks«, wies ihn die Königin zurecht, auch wenn ihr Tonfall sanfter war, als ich erwartet hatte. Vielleicht gab es da eine Geschichte, die ich nicht kannte. Wie bitter waren die Grenzstreitigkeiten zwischen dem Bergreich und Chalced wirklich? Hegte Kettricken einen älteren Groll, als mir bekannt war? Doch als sie sich wieder der Abordnung aus Bingtown zuwandte, zeigte sie sich zurückhaltend. »Ihr bietet uns die Teilnahme an Eurem Krieg an, als wäre das eine Ware, die wir begehren müssten. Das tun wir aber nicht. Einen Krieg haben wir bereits geführt, und in eben diesem Augenblick versuchen wir, die alten Feinde zu unseren Freunden zu machen. Euer Krieg führt uns nicht in Versuchung – ebenso wenig euer Angebot, uns chalcedisches Land zu überlassen, nachdem wir sie besiegt haben. Solch ein Sieg ist unsicher und steht in weiter Ferne. Überdies könnte es mehr eine Last, denn ein Vorteil sein, diese Territorien zu halten. Ein erobertes Volk findet sich nur selten damit ab, Fremdherrschaft zu ertragen. Ihr bietet uns freien Handel Richtung Süden an, wenn wir diesen Sieg erreichen. Doch Bingtown hat immer offene Handelsbeziehungen zu uns gepflegt, sodass ich darin keinen Gewinn für uns sehe. Wieder frage ich Euch: Warum sollten wir das in Erwägung ziehen?«
Ich beobachtete, wie die Abgesandten von Bingtown einander anblickten und vor sich hin lächelten. Mit dem Vorschlag, chalcedisches Territorium aufzuteilen, war ihr Angebot noch nicht erschöpft; aber was auch immer es sein mochte, was sie zurückhielten, solange sie nicht unbedingt mussten, würden sie es nicht preisgeben. Ich empfand kein Mitleid für sie. Sie hätte Chades Neugier nicht provozieren dürfen; nun wollte er auskundschaften, wie tief ihre Börse wirklich war. Händler Jorban machte eine kleine Geste, als wolle er jemand anderen auffordern, mit dem Feilschen fortzufahren.
Dann, als wäre es so abgesprochen, traten die Händler von Bingtown beiseite, sodass der verschleierte Mann der Königin direkt gegenüber stand. Irgendwie waren sie ohne ein Wort zu einer Übereinkunft gekommen.
Rasch änderte ich meine Meinung über den Vermummten. Das war kein Diener. Vielleicht war das keiner von ihnen, noch nicht einmal die Frau mit den Sklaventätowierungen. Als der Verschleierte plötzlich vortrat, zuckte ich unwillkürlich zusammen, als stünde ein
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