Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
Angriff kurz bevor; doch das Einzige, was er tat, war, die Kapuze zurückzuschlagen. Sein Spitzenschleier, der daran befestigt war, verschwand ebenfalls. Was ich nun sah, ließ mich nach Luft schnappen, doch andere – unter anderem Chade – waren weniger subtil.
»Eda sei uns gnädig!«, hörte ich den alten Assassinen rufen, und aus dem hinteren Teil der Halle ertönten entsetzte Schreie.
Der Abgesandte war jung, jünger als Pflichtgetreu und Harm, auch wenn er groß war. Augen und Mund waren von Schuppen umrahmt, und das war keine Schminke. An seinem Kiefer wuchsen irgendwelche Zotteln. Er richtete sich auf und straffte die Schultern. Ursprünglich hatte ich geglaubt, dass er durch die Kapuze größer schien, als er wirklich war, doch nun sah ich, dass seine Arme und Beine unnatürlich lang waren; dennoch bewegte er sich grazil und keineswegs unbeholfen. Er blickte Kettricken ungeachtet ihrer Stellung direkt an und sprach mit dem klaren Tenor eines Jungen.
»Mein Name ist Seiden Vestrit von den Bingtown Händlern Vestrit, großgezogen von der Familie Khuprus von den Händlern der Regenwildnis.« Der zweite Teil seiner Vorstellung ergab keinen Sinn für mich. Niemand lebte in der Regenwildnis. Die Gebiete, die direkt an den Fluss grenzten, waren ein einziger großer Sumpf. Das war einer der Gründe dafür, warum die Grenze zwischen Bingtown und Chalced nie wirklich festgelegt worden war. Der Fluss und seine verschlammten Ufer trotzten ihnen beiden. Aber was der Junge als Nächstes sagte, war noch ungeheuerlicher: »Ihr habt Serilla gehört, die für den Rat von Bingtown spricht. Andere hier können für die Tätowierten sprechen, jene ehemaligen Sklaven, die nun Bürger von Bingtown sind. Wieder andere für die Gilden und unsere Lebensschiffe. Ich spreche für die Händler der Regenwildnis. Aber ich spreche auch für Tintaglia, den letzten wahren Drachen, der geschworen hat, Bingtown in Zeiten der Not zur Seite zu stehen. Ihre Worte überbringe ich Euch.«
Ein Schauder lief mir über den Rücken, als ich den Namen des Drachen hörte. Ich wusste nicht warum.
»Sie ist der ständigen Rangeleien zwischen den Völkern von Chalced und Bingtown überdrüssig. Das behindert die Erfüllung der weit wichtigeren Aufgabe, die sie für sie im Sinn hat. Dieser Krieg, den Chalced so fanatisch führt, gefährdet ein weit größeres Schicksal.« Er sprach, als wäre er kein Mensch; Verachtung lag in seiner Stimme, Verachtung für die armseligen Sorgen der Menschlein. Das war beängstigend und inspirierend zugleich. Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Da erkannte ich, dass ich mir das schwache Glühen in seinen Augen nicht nur eingebildet hatte. »Helft Bingtown, Chalced zu zerstören und diesem Krieg ein Ende zu bereiten, und Tintaglia wird Euch ihre Gunst schenken. Und nicht nur ihre Gunst, sondern auch die Gunst ihrer Nachkommenschaft, die rasch an Größe, Schönheit und Weisheit gewinnt. Helft uns, und eines Tages werden die Legenden der Sechs Provinzen von Drachen, die sie beschützen, Realität werden, und Drachen Euch als Verbündete zur Seite stehen.«
Ein benommenes Schweigen folgte diesen Worten. Ich bin sicher, dass alle es fehlinterpretierten. Händler Jorban grinste breit ob etwas, was wohl der Schock auf Kettrickens Gesicht sein musste, und wagte hinzuzufügen: »Ich mache Euch nicht zum Vorwurf, dass Ihr an uns gezweifelt habt; aber Tintaglia ist genauso real wie ich es bin. Müsste sie sich nicht um ihren Nachwuchs kümmern, sie hätte den Angriffen Chalceds schon vor Jahren ein Ende bereitet. Habt Ihr nicht die Gerüchte von der Schlacht in der Bingtown Bay gehört? Wie ein silbern und blauer Drache die Chalcedier von unseren Ufern vertrieben hat? Ich war an jenem Tag dabei und habe im Hafen gekämpft. Diese Gerüchte sind weder übertrieben noch erfunden, sondern schlicht die Wahrheit. Bingtown besitzt einen seltenen und fantastischen Verbündeten: den letzten wahren Drachen dieser Welt. Helft uns, Chalced in die Knie zu zwingen, und sie könnte auch Euer Verbündeter sein.«
Ich glaube nicht, dass er damit rechnete, Feuer an Kettrickens Ärger zu legen. Ich bezweifele, dass er auch nur annähernd eine Ahnung hatte, wie tief Kettrickens Gefühle für die Drachen des Sechs Provinzen waren.
»Der letzte wahre Drache!«, rief sie. Ich hörte das Rascheln ihres Kleides, als sie auf die Füße sprang. Sie stieg die Stufen hinunter und trat den Emporkömmlingen aus Bingtown entgegen; eine Stufe
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