Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
durch die Meere und wachsen zu gewaltiger Größe heran, und wenn die Zeit reif ist, wenn sie Drachengröße erreicht haben, wandern sie in die Heimat ihrer Vorfahren. Die erwachsenen Drachen heißen sie dort willkommen und geleiten sie flussaufwärts. Dort weben sie sich Kokons aus Sand – Sand der aus gemahlenem Erinnerungsstein besteht – und ihrem eigenen Speichel. In vergangenen Zeiten halfen ihnen die erwachsenen Drachen dabei. Und mit dem Speichel gaben die erwachsenen Drachen ihre Erinnerung weiter, um den jungen Drachen in ihrer Entwicklung zur Seite zu stehen. Einen vollen Winter lang schlummern sie und verändern sich, während die ausgewachsenen Drachen über sie wachen und sie vor Raubtieren schützen. Im heißen Licht des Sommers schlüpfen sie dann und absorbieren dabei den größten Teil ihres Kokons und damit auch die Erinnerungen. Junge Drachen kommen hervor, voll ausgewachsen und stark, bereit, sich selbst zu verteidigen und um Partner zu kämpfen. Schließlich legen sie ihre Eier auf einer weit entfernten Insel. Der Insel der Anderen. Eier, aus denen Schlangen schlüpfen.«
Während er sprach, konnte ich es fast sehen. Vielleicht hatten meine Träume mich dafür empfänglich gemacht. Wie oft hatte ich mir im Schlaf vorgestellt, wie es wohl sein mochte, ein Drache zu sein, wie Veritas einer geworden war? Wie es wohl sein mochte, in den Himmel hinaufzufliegen, zu jagen und zu fressen? Irgendetwas in den Worten des Narren weckte diese Träume wieder, und plötzlich kamen sie mir mehr wie echte Erinnerungen denn wie Bilder vor, die ich im Schlaf gesehen hatte. Er schwieg.
»Erzähl mir auch den Rest«, hakte ich nach.
Wieder lehnte der Narr sich zurück und seufzte. »Irgendetwas hat sie umgebracht. Vor langer Zeit. Ich weiß nicht genau was. Irgendein großer Kataklysmus, der ganze Städte in nur wenigen Tagen verschlungen hat. Er hat die Küsten gesenkt, Hafenstädte im Meer versinken lassen und den Lauf von Flüssen verändert. Dieser Kataklysmus hat die Drachen ausgerottet, und ich glaube auch die Uralten getötet. All das sind natürlich nur Vermutungen, Fitz. Sie beruhen allerdings nicht nur auf dem, was ich selbst gesehen und gehört habe, sondern auch auf dem, was du mir erzählt hast und was ich in deinen Schriften gelesen habe. Diese leere, zerrissene Stadt, die du besucht hast, deine eigene Vision dort von einem Drachen, der auf dem Fluss gelandet ist und von seltsam gebautem Volk, das ihn begrüßt hat … Einst lebten dieses Volk und die Drachen Seite an Seite. Als die Katastrophe kam, die ihnen beide ein Ende bereitet hat, hat das Volk versucht, ein paar Kokons zu retten. Sie haben sie in ihre Gebäude geschleppt. Die Drachenkokons und die Menschen wurden gemeinsam lebendig begraben. Die Menschen verschwanden. Aber in den Kokons, unberührt von Licht und Wärme, die die Zeit des Aufwachens hätten ankündigen können, überlebten die halb entwickelten Drachen.«
Wie ein Kind lauschte ich verzaubert seiner wilden Geschichte.
»Schließlich hat ein anderes Volk sie gefunden: Die Händler der Regenwildnis, ein Spross der BingtownHändler, gruben in den antiken Städten und suchten dort nach Schätzen. Sie fanden in der Tat viel dort. Vieles von dem, was du heute als Geschenke für Kettricken gesehen hast – die Flammenjuwelen, das Jidzin, selbst der Stoff-, gehört zum Schatz aus den Wohnstätten der Uralten. Sie fanden auch Drachen in ihren Kokons. Natürlich hatten sie keine Ahnung, was das war. Sie dachten … Wer weiß, was sie zuerst dachten? Vielleicht hielten sie sie zunächst für Stücke von riesigen Baumstämmen. So nennen sie sie: Magierholz. Sie schnitten sie in Stücke und verwendeten sie als Bauholz; die halbfertigen Drachen darin warfen sie einfach weg. Das ist das Material, aus dem sie ihre Lebendschiffe gebaut haben, und diese seltsamen Fahrzeuge haben ihre Wurzeln in den Drachen, die sie eigentlich hätten werden sollen. Die meisten der halb entwickelten Drachen waren tot, nehme ich an, und das lange bevor man ihre Kokons aufgeschnitten hat. Aber einer war es zumindest nicht. Eine Kette von Ereignissen, mit denen ich nicht vertraut bin, hat dafür gesorgt, dass der Drachenkokon dem Sonnenlicht ausgesetzt wurde. Er ist geschlüpft. Tintaglia ist auf die Welt gekommen.«
»Schwach und schlecht ausgebildet.« Ich versuchte, diese Geschichte mit dem in Verbindung zu setzen, was er mir vorher gesagt hatte.
»Nein. Gesund und munter und eine derart arrogante Kreatur,
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