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Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr

Titel: Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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bindend betrachtete und wer diese ›hohe Frau‹ war, und warum ihre Dienerin so despektierlich war. Ich schob die Informationsbrocken, die ich gesammelt hatte, erst einmal zusammen mit meinen Fragen beiseite, nahm mein Zeug und setzte den Weg zu Chades Turm hinauf fort. Wenigstens hatte ich während des Lauschens meine eigenen Sorgen für eine Weile vergessen.
    Ich stieg die letzten Stufen zu dem winzigen Raum an der Turmspitze hinauf und drückte gegen die kleine Tür dort. Aus einem entfernten Teil der Burg hörte ich Musik. Vermutlich stimmten die Minnesänger ihre Instrumente für die Festivitäten heute Abend. Ich trat hinter einem Weinregal hervor in Chades Turmzimmer. Ich hielt die Luft an, schob dann das Regal wieder an seinen Platz zurück und stellte mein Bündel daneben. Der Mann, der über Chades Arbeitstisch gebeugt war, murmelte etwas vor sich hin, ein kehliger Singsang von Beschwerden. Mit jedem seiner Worte wurde die Musik lauter und deutlicher. Fünf geräuschlose Schritte trugen mich in die Kaminecke zu Veritas Schwert. Meine Hand hatte gerade erst das Heft berührt, als sich der Mann zu mir umdrehte. Es war der Schwachsinnige, den ich vor vierzehn Tagen kurz im Stall gesehen hatte. Er hielt ein Tablett mit Schüsseln in der Hand, einem Stößel und einer Teetasse. Vor lauter Überraschung kippte er es zu einer Seite, und das ganze Geschirr wäre fast heruntergerutscht. Rasch stellte er das Tablett auf den Tisch. Die Musik hatte aufgehört.
    Eine Zeit lang starrten wir einander bestürzt an. Die Form seiner Augenlider ließ ihn aussehen, als würde er ständig schlafen. Seine Zungenspitze ragte ein Stück aus dem Mund. Er besaß kleine Ohren, die eng an seinem Kopf lagen, und kurz geschorenes Haar. Seine Kleidung hing an ihm herunter und die Ärmel und Hosenbeine waren abgeschnitten, man konnte deutlich erkennen, dass es sich um die weggeworfenen Kleidungsstücke eines weit größeren Mannes handelte. Er war klein und rundlich, und irgendwie hatte er etwas Beunruhigendes an sich. Ein Gefühl der Vorahnung jagte mir einen Schauder über den Rücken. Ich wusste, dass er keine Bedrohung darstellte, aber ich wollte ihn dennoch nicht in meiner Nähe haben. Demnach zu urteilen, wie mich seine Augen anfunkelten, beruhte dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit.
    »Geh weg!« Er sprach mit kehliger Stimme.
    Ich atmete tief durch und antwortete in gelassenem Tonfall: »Es ist mir erlaubt, hier zu sein. Dir auch?« Ich hatte mir bereits gedacht, dass das Chades Diener sein musste, der Junge, der Holz und Wasser holte und hinter dem alten Mann her räumte. Aber ich wusste nicht, wie weit ihn Chade ins Vertrauen gezogen hatte, und so nannte ich Chades Namen nicht. Sicherlich wäre der alte Assassine niemals so unvorsichtig, einem Schwachkopf seine Geheimnisse anzuvertrauen.
    Du. Geh weg. Sieh mich nicht!
    Der feste Stoß von Gabenmagie, den er gegen mich führte, ließ mich taumeln. Hätte ich meine Mauer nicht errichtet gehabt, hätte ich mit Sicherheit genau das getan, was er mir befohlen hatte: Ich wäre weggegangen und hätte ihn nicht gesehen. Als ich meine Gabenwand verstärkte, fragte ich mich flüchtig, ob er das schon früher getan hatte. Und falls ja, würde ich mich überhaupt daran erinnern?
    Lass mich allein! Tu mir nicht weh! Geh weg, Stinkehund!
    Ich war mir dieses zweiten Schlages bewusst, aber weniger eingeschüchtert davon. Nichtsdestotrotz senkte ich meine Mauer nicht, um mit der Gabe zurückzuschlagen. Ich sprach mit einer Stimme, die trotz all meiner Bemühungen ein wenig zitterte. »Ich werde dir nicht weh tun. Ich hatte auch nie die Absicht, dir wehzutun. Aber ich werde auch nicht weggehen. Und ich werde nicht zulassen, dass du mich derart bedrängst.« Ich bemühte mich, im Tonfall von jemandem zu sprechen, der ein Kind für seine Streiche tadelte. Vermutlich hatte er keine Ahnung, was er da eigentlich tat; ohne Zweifel nutzte er schlicht eine Waffe, die früher für ihn funktioniert hatte.
    Doch anstatt verdrossen zu sein, flackerte Zorn in seinem Gesicht auf. Und Angst? Seine ohnehin schon kleinen Augen verschwanden fast in den fetten Wangen, als er sie zusammenkniff. Einen Augenblick lang war sein Mund vollkommen schief, und seine Zunge hing noch weiter heraus. Dann packte er das Tablett und schlug es auf den Tisch, sodass die Schüsseln darauf hüpften. »Geh weg!« Seine Gabe war das Echo der wütenden Befehle, die aus seinem Mund quollen. »Du siehst mich nicht!«
    Ich ging zu Chades

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