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Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr

Titel: Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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starrte ich ins Feuer und versuchte, mich von den Fragen zu lösen, die ich nicht beantworten konnte. Schließlich setzte ich mich an den Tisch, um die Schriftrollen zu studieren, die Chade mir hingelegt hatte. Es handelte sich um Drachenlegenden der Outislander. Zwei davon waren neu; die Tinte war frisch und tiefschwarz, das Pergament cremefarben. Chade hätte sie nicht hier gelassen, wenn er nicht gewollt hätte, dass ich sie sehe. Eine berichtete von der Sichtung eines silber-blauen Drachens über dem Hafen von Bingtown während der entscheidenden Schlacht zwischen den Bingtown-Händlern und der chalcedischen Flotte. Die andere sah mir wie eine kindliche Schreibübung aus, sämtliche Buchstaben waren irgendwie schief und verzerrt. Vor langer Zeit hatte mich Chade jedoch mehrere Geheimzeichen gelehrt, mit denen wir einander Nachrichten zukommen lassen konnte, und dieses Pergament ließ sich rasch entschlüsseln. Tatsächlich war es so einfach, dass ich das Gesicht verzog und mich fragte, ob Chade so nachlässig geworden war, oder ob die Qualität unserer Spione irgendwie abgenommen hatte. Das Schriftstück stellte sich nämlich als früher Bericht eines Spions heraus, der mit der OutislanderDelegation zu den Äußeren Inseln geschickt worden war. Hauptsächlich berichtete er von Gerüchten und Gesprächen, die er auf dem Schiff der Narcheska mit angehört hatte. Ich fand nur wenig, was auf den ersten Blick nützlich für mich gewesen wäre, doch die Erwähnung dieser ›Bleichen Frau‹ beunruhigte mich. Es war, als würde plötzlich ein Schatten aus meinem früheren Leben nach mir greifen, mit Krallen anstatt mit unwirklichen Fingern.
    Ich machte mir gerade Tee, als Chade eintraf. Er stieß die Regaltür auf und wankte herein. Seine Wangen und seine Nase waren leuchtend rot, und einen entsetzlichen Augenblick lang glaubte ich, der alte Mann sei betrunken. Er stützte sich an der Tischkante ab, setzte sich auf meinen Stuhl und sagte traurig: »Fitz?«
    »Was ist passiert?«, fragte ich und ging zu ihm.
    Er starrte mich an und antwortete dann übertrieben laut: »Ich kann dich nicht hören.«
    »Was ist mit dir passiert?«, wiederholte ich, diesmal lauter.
    Ich glaube nicht, dass er die Worte hörte; dennoch erklärte er: »Es ist in die Luft geflogen. Ich habe an derselben Mixtur gearbeitet, die ich dir in deiner Hütte gezeigt habe. Diesmal hat sie zu gut funktioniert. Es ist in die Luft geflogen!« Er klopfte sich auf Wangen und Stirn. Sein Gesicht besaß einen tragischen Ausdruck. Ich wusste sofort, was ihm Kopfzerbrechen bereitete. Ich ging und holte ihm einen Spiegel. Chade starrte hinein, während ich frisches Wasser in die Waschschüssel goss und ein Tuch holte. Das machte ich für ihn nass, und er legte es sich kurz aufs Gesicht. Als er es wieder herunternahm, war ein guter Teil seiner Röte verschwunden – aber auch das Meiste von seinen Augenbrauen.
    »Es sieht so aus, als hätte dich ein mächtiger Flammenschlag getroffen. Deine Haare sind auch angesengt.«
    »Was?«
    Ich winkte ihm, die Stimme zu senken.
    »Ich kann dich nicht hören«, wiederholte er unglücklich. »Meine Ohren klingen, als hätte mein Stiefvater mir links und rechts eine verpasst. Bei den Göttern, wie ich diesen Mann gehasst habe!«
    Dass er überhaupt von ihm sprach, zeigte mir, wie erregt Chade war. Chade hatte mir nie viel von seiner Kindheit erzählt. Er fingerte an seinen Ohren herum, als wolle er sich vergewissern, dass sie noch immer da waren. »Ich kann nichts hören«, wiederholte er noch einmal. »Aber mein Gesicht sieht nicht allzu schlimm aus, oder? Ich werde doch keine Narben davontragen … oder was meinst du?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Deine Augenbrauen werden wieder nachwachsen. Das« – ich berührte seine Wange leicht – »scheint nicht schlimmer als ein Sonnenbrand zu sein. Das geht schon wieder weg. Und ich glaube, auch deine Taubheit wird vorüber gehen.« Letzteres hoffte ich mehr, als dass ich es wusste.
    »Ich kann dich nicht hören«, stöhnte er wieder.
    Ich klopfte Chade tröstend auf die Schulter und stellte meine Teetasse vor ihn hin. Dann berührte ich meine Lippen, um seine Aufmerksamkeit auf meinen Mund zu lenken, und sagte: »Ist dein Lehrling in Ordnung?« Ich wusste sehr wohl, dass er derartige Experimente zu dieser Stunde nicht allein durchführen würde.
    Chade beobachtete meine Lippenbewegungen, und nach einem Augenblick schien er die Worte zu verstehen, denn er sagte: »Mach dir darüber

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