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Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr

Titel: Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Ich hatte nicht von ihm erwartet, dass er so penibel an dieser Idee festhielt, geschweige denn, dass er sie anwandte. Das machte mir sowohl neue Hoffnung als auch Angst. »Hier seid ihr beide Schüler«, bestätigte ich ihm. Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und verschränkte die fetten Arme vor der Brust.
    »Und ich bin der Lehrer«, fuhr ich fort. »Schüler gehorchen ihrem Lehrer. Dick. Kannst du die Musik aufhören lassen?«
    »Will nicht«, sagte er, aber in anderem Tonfall.
    »Vielleicht nicht, doch ich bin der Lehrer und du der Schüler. Schüler gehorchen ihrem Lehrer.«
    »Schüler gehorchen wie Diener?« Er stand auf und schickte sich an zu gehen.
    Es war hoffnungslos, doch ich versuchte es trotzdem. »Schüler gehorchen wie Schüler. Damit sie lernen können. Damit alle lernen können. Wenn Dick gehorcht, dann ist Dick noch immer Schüler. Wenn Dick nicht gehorcht, ist er kein Schüler mehr, und wir schicken ihn weg, sodass er nur noch Diener ist.«
    Eine Weile stand er schweigend da. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was er dachte. Ich wusste noch nicht einmal, ob er mich verstanden hatte. Pflichtgetreu saß auf seinem Stuhl, das Kinn auf der Brust und mit verschränkten Armen und blickte düster drein. Offensichtlich hatte er gehofft, dass Dick gehen würde, doch einen Augenblick später setzte der kleine Mann sich wieder. »Die Musik aufhören lassen«, sagte er. Er schloss die Augen. Dann öffnete er sie wieder, blinzelte und erklärte: »So.«
    Mir war gar nicht aufgefallen, wie sehr sein ständiger Gebrauch der Gabe meine Mauern mitgenommen hatte. In der nun folgenden Stille empfand ich ein schier unglaubliches Gefühl der Erleichterung. Es war wie die Ruhe nach einem Sturm, wenn der Wind plötzlich aufhört zu heulen und Stille einkehrt. Ich seufzte erleichtert, und Pflichtgetreu setzte sich plötzlich auf. Er rieb sich die Ohren, blickte verwirrt drein und schaute mich dann an. »Das war alles er?«
    Ich nickte langsam. Ganz erholt hatte ich mich noch immer nicht.
    Eine große Unsicherheit erschien auf Pflichtgetreus Gesicht. »Aber ich dachte … Ich dachte, das wäre die Gabe selbst. Der große Fluss, von dem du immer sprichst …« Erneut schaute er zu Dick, doch seine Haltung dem kleinen Mann gegenüber hatte sich verändert. Es war kein Respekt, sondern Vorsicht, was ich in seinen Augen sah, doch daraus konnte oft Respekt erwachsen.
    Dann, wie ein plötzlicher Regenvorhang, erwachte die Musik um meine Gedanken herum wieder zum Leben und trennte mich von Pflichtgetreu, wie Nebel zwei Jäger voneinander trennte. Ich blickte zu Dick. Sein Gesicht sah so schlaff aus wie eh und je. Mir kam die Erkenntnis, dass der Gebrauch der Gabe für ihn der natürliche Zustand war. Sie nicht einzusetzen, das kostete ihn Mühe. Und wo hatte er das gelernt?
    Hat deine Mutter so mit dir gesprochen?
    Nein.
    Wie hast du das dann gelernt?
    Er runzelte die Stirn. Sie hat mir vorgesungen. Wir haben zusammen gesungen. Sie hat dafür gesorgt, dass mich die bösen Jungen nicht sehen.
    Ich wurde immer aufgeregter. Dick. Wo ist deine Mutter? Hast du Brüder oder …
    »Hört auf damit! Das ist nicht fair!« Der Prinz klang trotzig wie ein Kind.
    Das riss mich aus meinen Gedanken. »Was ist nicht fair?«
    »Dass ihr beide über die Gabe miteinander redet, sodass ich euch nicht hören kann. Das ist ungehobelt. Das ist genau das Gleiche wie hinter jemandes Rücken über ihn zu flüstern.«
    Ich hörte auch die Eifersucht in seiner Stimme. Dick, der Schwachkopf, tat etwas, wozu der Prinz der Sechs Provinzen nicht imstande war, und ich war offensichtlich begeistert davon. Hier musste ich Vorsicht walten lassen. Ich vermutete, dass Gabenmeister Galen eine Rivalität zwischen ihnen geschürt hätte, um beide zu härterer Arbeit anzutreiben. Aber das war nicht mein Ziel. Stattdessen wollte ich die beiden zu einer Einheit formen.
    »Es tut mir leid. Du hast Recht. Das war nicht gerade höflich. Dick hat mir gerade erzählt, dass seine Mutter ihm über die Gabe vorgesungen hat, und dass sie auch gemeinsam gesungen haben. Manchmal hat sie sie auch benutzt, damit die bösen Jungen ihn nicht sehen.«
    »Dann hat seine Mutter die Gabe? Ist sie auch schwachsinnig?«
    Ich sah, wie Dick bei dem Wort zusammenzuckte, so wie ich einst bei dem Wort ›Bastard‹. Das traf mich. Ich wollte den Prinzen auf scharfe Art zurechtweisen, doch ich wusste, dass das nur Heuchelei gewesen wäre. Bezeichnete ich Dick nicht selber so? Als

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