Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
sollte.
Ich kämmte Dicks Haar erst einmal glatt. Das beruhigte ihn, und er wandte sich wieder seinem Kuchen zu. »Ich werde dein Haar auf Kinnlänge stutzen. Auf diese Art hält es dir weiter Ohren und Nacken warm.«
»Ja«, stimmte er leise zu. Er ging ganz und gar in seinen Gedanken über den rosa Zuckerkuchen auf.
Während ich Dick die Haare schnitt, erinnerte ich mich wieder an Harm. Plötzlich vermisste ich den kleinen Jungen, der er einst gewesen war. Als Harm zehn Jahre alt gewesen war, war es mir so viel leichter gefallen zu wissen, was richtig für ihn war und was nicht. Ich hatte ihn gut gefüttert, ihn das Angeln gelehrt, ihm saubere Kleider verschafft und dafür gesorgt, dass er nachts gut schlief. Das war nahezu alles gewesen, was der Junge gebraucht hatte. Ein junger Mann war jedoch ein vollkommen anderes Tier. Vielleicht würde ich heute Abend ein wenig Zeit haben, um mal nach ihm zu sehen. Ich schnitt, und ungleichmäßige Strähnen von Dicks Haaren fielen zu Boden. Ich beschloss, es anders zu versuchen … »Ich weiß, dass du mir nichts über den einarmigen Mann sagen kannst. Ich weiß, dass du nicht darüber reden darfst. Also werden wir auch nicht darüber reden. Ich werde dich noch nicht einmal fragen, was er dich fragt. Aber du kannst mir doch erzählen, was du ihm gesagt hast, oder? Das haben sie dir doch nie verboten.«
»Nei-ein«, antwortete Dick nach längerem Nachdenken vorsichtig. Er entspannte sich unter meiner Berührung. »Der einarmige Mann«, sagte er leise, und ein Bild von Lutwin erschien mit Dicks Musik in meinem Geist. Er war hagerer, als ich ihn in Erinnerung hatte, doch nach dem Verlust seines Arms und dem anschließenden Fieber war das wohl kaum verwunderlich. Er blickte auf mich hinunter, und einen Augenblick lang verlor ich deswegen die Orientierung, bevor ich Dicks Sicht auf den Mann akzeptierte, der ihn im Gegensatz zu mir überragte. Das Bild war vage. Was er vor seinem geistigen Auge sah, war weit undeutlicher als das, was er hörte. Dick konnte sich offenbar Geräusche sehr genau einprägen. Ich lauschte auf Lutwins Stimme in Dicks Erinnerungen: »Das ist deine Informationsquelle? Was hast du dir dabei gedacht, Padget? Kümmerst du dich so um meine drängendsten Sorgen? Er ist nicht im Mindesten geeignet dafür. Er besitzt ja noch nicht einmal genügend Verstand, um sich seinen eigenen Namen zu merken, geschweige denn etwas anderes.«
»Er wird dir gute Dienste leisten«, sagte jemand anderer. Ich vermutete, das war der Mann mit Namen Padget. » Er hat uns schon viel erzählt, stimmt's nicht, Trottel? Der alte Mann hat einen Narren an ihm gefressen. Stimmt's, Dick? Arbeitest du jetzt nicht für Lord Chade persönlich? Erzähl ihm von Lord Chade und seinem speziellen Raum.«
Dann sagte er offensichtlich an Lutwin und nicht an Dick gewandt: »Das war pures Glück. Als der Stallbursche ihn das erste Mal hierher geschleppt hat, habe ich genauso gedacht wie du, nämlich dass er nutzlos ist. Aber oben in der Burg lassen sie diesen Schwachkopf gehen, wohin er will. Er weiß Dinge, Lutwin. Man muss nur wissen, wie man sie aus ihm herausbekommt. « Ich konnte Padget durch Dicks Augen nicht sehen, aber ich konnte ihn fühlen: ein kräftiger Mann, eher breit als groß und bedrohlich; ein Mann, der anderen mit seinen Händen Schmerzen zufügen konnte, ohne zu schlagen.
Dann sprach eine andere Stimme, die Stimme einer Frau: » Er hat gut für uns gearbeitet, Pferdemann. Versuch nicht … Wie sagst du doch immer? Versuch nicht, die Pferde mitten im Galopp zu wechseln. Ja. Wenn du haben willst, was wir dir anzubieten haben, dann versuch nicht zu unterbrechen, was so gut für uns funktioniert.«
Ich glaubte, ihre Stimme schon einmal gehört zu haben. Ich durchforstete meine Erinnerungen, versuchte, sie einzuordnen, aber ich wusste nur, dass sie jemand von innerhalb der Burg war. Ich behielt diesen Gedanken für mich aus Furcht, Dick aus seinen Erinnerungen zu reißen. An jenem Tag war er verängstigt und verwirrt gewesen. Alles war von der Ankunft des großen Mannes mit dem einen Arm überschattet, und Dick war eingeschüchtert von der Art, wie sie über ihn und an ihm vorbei sprachen. Nicht einen Augenblick ließ ihn der Mann, der ihn am Arm hielt, los.
Lutwins Stimme war wie das Schlagen eines Schmiedehammers. »Mir ist egal, was gut für euch funktioniert, Weib, und mir ist auch egal, was ihr mir anzubieten habt. Meine Rache gehört mir allein, und ich werde sie euch nicht
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