Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
Willen. Ich hatte nichts von alledem. Gabenwellen von Pflichtgetreu brachen über mich herein, flossen durch mich hindurch und hinterließen nicht einen Gedanken. Ich wusste nur, dass er mich zu erreichen versuchte, und ich wünschte mir von ganzem Herzen, dass er damit aufhören würde. Ich wollte Stille – Stille, in der ich mich vor meinen Schmerzen verstecken konnte. Manchmal war ich mir auch Nessels Gegenwart bewusst. Ich bezweifelte allerdings, dass sie fühlte, dass sie mich erreicht hatte.
In jenen kurzen Augenblicken zwischen Wachen und von Albträumen geplagtem Schlaf lebte ich ein anderes Leben. Die Flanken der Hügel waren glatt und weiß vom Schnee unter einem grauen Himmel. Es gab keine Bäume, keine Büsche, noch nicht einmal Steine. Nur Schnee, den flüsternden Wind und das ewige Zwielicht. Die einzige Abwechslung in dieser monotonen Landschaft waren Nachtauges Spuren im Schnee unmittelbar vor mir. Geduckt folgte ich ihnen. Ich würde ihn finden und mich zu ihm gesellen. Er konnte nicht weit vor mir sein. Einmal hörte ich Wölfe in der Ferne heulen, und ich versuchte, mich zu beeilen. Diese Anstrengung weckte mich jedoch nur, und ich lag wieder im kalten Gestank der Gefängniszelle. Ich hatte mich bewegt, und irgendetwas Heißes und Faules quoll aus meiner Wunde. Ich schloss die Augen wieder und suchte den Frieden in den verschneiten Hügeln.
Es sollte Wochen dauern, bevor ich die Kette der Ereignisse zusammengefügt hatte. Fürst Leuenfarbs vermisste Börse mit ungeschliffenen Edelsteinen wurde in Lutwins Haus gefunden. Nicht dass er in Burgstadt als Lutwin bekannt gewesen wäre. Merle hatte Recht gehabt. Für seine Nachbarn hatte der einarmige Mann Keppler geheißen. Ein Zeuge erklärte, dass er jemanden, der ich hätte sein können, gesehen hatte, wie er jemand anderem – vermutlich Padget – in Kepplers Haus gefolgt war. Offensichtlich hatte man mir die Börse meines Herrn auf dem Weg zum Edelsteinschleifer geraubt. Ich hatte die Diebe verfolgt, sie hatten gegen mich gekämpft, und ich hatte sie getötet, nachdem ich selbst schwer verletzt worden war. Dann hatte ich auch noch tapfer ein wahnsinniges Pferd erschlagen, das die Menschen auf der Straße bedroht hatte. Plötzlich war ich nicht mehr der ruchlose Dreifachmörder, sondern ein treuer Diener, der für das Eigentum seines Herrn sein Leben riskiert hatte.
Da sich niemand meldete, der dieser Geschichte widersprach oder auch die Leichen von ›Keppler‹ und Padget beanspruchte, wurde sie alsbald überall in Burgstadt akzeptiert. Die Nachbarn des Ziegenhirten sprachen darüber, dass Keppler immer wieder Besuch zu unmöglichen Zeiten gehabt hatte.
So gestattete man Fürst Leuenfarb zu beanspruchen, was von mir übrig war. Er schickte zwei Diener, die mich nach Hause bringen sollten. Stinkend und nur halb bei Bewusstsein wurde ich in eine Sänfte geladen und zur Burg hinauf getragen. Ich kannte die Männer nicht, und ich kümmerte sie nur wenig. Ich spürte jeden ihrer Schritte und hätte geweint, wenn ich die Kraft dazu gehabt hätte. Der Schmerz war es, der mich immer wieder wach werden ließ. Die kräftigen Männer, die meine Sänfte trugen, bemerkten, dass sie froh um die Kälte seien, denn so sei der Eitergestank aus meiner Wunde nur halb so schlimm. Schließlich lieferten sie mich an Fürst Leuenfarbs Tür ab. Der Fürst hielt sich ein parfümiertes Taschentuch vor Mund und Nase und befahl ihnen, mich auf mein Bett zu legen. Dann bezahlte er sie großzügig und dankte ihnen dafür, dass sie mich zum Sterben nach Hause gebracht hatten. In der Dunkelheit meines abgeschlossenen Raums schloss ich die Augen und versuchte, genau das zu tun.
Gesprächsfetzen wirbelten wie Herbstlaub in meinen Erinnerungen herum. Sie schwebten in meinen Kopf und füllten ihn auf wie anderer Leuts Möbel in einem einst vertrauten Raum. Ich konnte mich nicht von ihnen lösen. Irgendetwas hielt mich dort ebenso fest wie die Hand, die meine umklammert hielt.
»… können ihn nicht noch einmal bewegen, selbst wenn wir eine Sänfte die Treppe rauf bekämen. Du wirst es hier tun müssen.«
»Ich weiß nicht wie. Ich weiß nicht wie. Ich weiß nicht wie! « Das kam von Pflichtgetreu. »Eda und El, Chade, ich bin nicht stur. Glaubst du nicht, dass ich ihn retten würde, wenn ich könnte? Aber ich weiß nicht wie. Ich bin noch nicht einmal sicher, um was genau du mich eigentlich bittest.«
Stinkt jetzt schlimmer als Hundescheiße. Dick war gelangweilt und
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