Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet
hinterlassen hatten. Ich rutschte auf meinem Bett herum, schien aber nicht gänzlich aufwachen zu können. Ich schlang meine Decke enger um die Schultern und ergab mich wieder dem Schlaf.
Und dann unternahm ich eine Gabenwanderung im Traum, eine Wanderung zu einer ausgesprochen beunruhigenden Szene. Nessel saß auf einem grasbewachsenen Hang und plapperte mit Tintaglia. Ich wusste, dass Nessel diesen Traum erschaffen hatte, denn nie hatten Blumen so strahlend und so gleichmäßig verteilt geblüht. Das Ganze erinnerte mich an einen sorgfältig angelegten Wandteppich. Der Drache war so groß wie ein Pferd und saß auf eine wenig bedrohliche Art da. Ich betrat den Traum. Nessel hatte sieh straff aufgerichtet und verlangte mit brüchiger Stimme von dem Drachen zu wissen: »Und was hat das mit mir zu tun?«
Und stumm meinte sie zu mir:
Warum kommst du so spät ? Hast du mich nicht rufen hören ?
»Ich kann das hören, weißt du?«, erklärte ihr Tintaglia ruhig. »Und er hat deinen Ruf nicht gehört, weil ich es nicht gewollt habe. Wie du also siehst, bist du allein, wenn ich das will.« Plötzlich blickte der Drache mich kalt an. Alle Schönheit war aus seinen Reptilienaugen gewichen, sodass nur vor Wut funkelnde Edelsteine blieben. »Das ist eine Tatsache, die auch dir nicht entgangen sein dürfte, nehme ich an.«
»Was willst du?«, verlangte ich von Tintaglia zu wissen.
»Du weißt, was ich will. Ich will wissen, was du über einen schwarzen Drachen weißt. Ist er real? Existiert noch ein anderer Drache auf dieser Welt, ausgewachsen und unversehrt?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich ihr wahrheitsgemäß. Ich fühlte, wie sie in meinem Geist herumstocherte, um zu sehen, ob ich irgendwas verbarg. Es war ein Gefühl wie das Trippeln kalter Rattenfüße, die in einer Gefängniszelle des Nachts über einen hinweg laufen. Dann packte Tintaglia diese Erinnerung und versuchte, sie gegen mich zu verwenden. Ich verstärkte meine Mauern. Unglücklicherweise bedeutete das, dass ich auch Nessel aussperrte. Beide verwandelten sie sich zu Schatten auf einem wabernden Vorhang.
Tintaglia sprach, und ihre Stimme erreichte mich wie ein Flüstern des Verderbens. »Akzeptiere, dass deine Art der meinen dienen wird. Das ist die natürliche Ordnung der Welt. Diene mir, und ich will dafür sorgen, dass du und die deinen gedeiht. Trotze mir, und du und die deinen werden hinfortgefegt werden.« Plötzlich wurde das Bild des Drachen riesig und ragte über Nessel auf. »Oder verschlungen«, fügte sie hinzu.
Angst nagte an mir. Auf irgendeiner unterbewussten Ebene brachte der Drache mich mit Nessel in Verbindung. Lag das schlicht daran, dass Tintaglia mich durch meine Tochter erreicht hatte, oder fühlte sie unsere Verwandtschaft? War das überhaupt von Bedeutung? Meine Tochter schwebte in Gefahr, und es war meine Schuld. Wieder einmal. Und ich hatte keine Ahnung, wie ich sie beschützen sollte.
Es war egal. Vor einem Augenblick hatte mich der mit Blumen übersäte Hang an einen Wandteppich erinnert. Dann stand Nessel unvermittelt auf, beugte sich vor, packte ihren Traum und schüttelte ihn, wie man Staub aus einem Teppich herausschüttelt. Die Gegenwart des Drachen wurde hinweggeschleudert, trudelte ins Nichts und wurde immer kleiner. In diesem Nichts stand Nessel, rollte ihren Traum zusammen und steckte ihn in ihre Schürzentasche. Ich wusste nicht länger, wo oder was ich in ihrem Traum war, doch sie sandte die Worte zu mir:
Du musst lernen, dich ihr zu widersetzen und sie zu verjagen; du darfst dich nicht einfach zusammenrollen und dich verstecken. Vergiss nicht, dass du ein Wolf bist, Schattenwolf keine Maus. Oder zumindest habe ich das immer geglaubt.
Sie begann zu verblassen.
Warte!,
rief der Prinz mit verzweifelter Entschlossenheit über die Gabe. Auf eine Art, die ich nicht verstand, holte er sie ein und hielt sie zurück.
Wer bist du?
Nessels Erschrecken flutete durch mich hindurch wie eine Welle. Sie wehrte sich einen Augenblick lang, aber als Pflichtgetreu nicht losließ, verlangte sie zu wissen:
Wer ich bin? Wer bist du, dass du es wagst, hier so grob einzudringen? Lass mich los.
Pflichtgetreu verblüffte ihr Tadel.
Wer ich bin? Ich bin der Prinz der Sechs Provinzen. Ich gehe, wohin auch immer ich gehen will.
Einen Augenblick lang war Nessel so erstaunt, dass sie stumm blieb. Dann:
Du bist der Prinz?
Ihr Unglaube war genauso offensichtlich wie ihre Verachtung.
Ja, der bin ich. Und würdest du jetzt bitte
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