Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet
Zuhause hat verlassen müssen. Wegen dem Drachen. Da habe ich mich gefürchtet und ihr gesagt, sie könne hierher kommen, weil wir einem Drachen den Kopf abschlagen, aber sie hat gesagt: >Mach dir keine Sorgen. Mein Papa wird den Drachen für mich töten.< Deshalb ist sie in Sicherheit.«
Meine Gedanken überschlugen sich. Dann war es also getan. Der Vogel hatte Bocksburg erreicht, und die Königin hatte rasch gehandelt, um Nessel unter ihren Schutz zu nehmen. Und irgendjemand - Kettricken oder Burrich - hatte ihr gesagt, dass ich ihr Vater war. Warum und mit welchen Worten sie es getan hatten, war plötzlich seltsamerweise nicht mehr von Bedeutung. Nessel wusste es. Und sie war wütend auf mich, hatte aber trotzdem eine Möglichkeit gefunden, mir durch Dick eine Nachricht zukommen und mich wissen zu lassen, dass sie wusste, wer ich war, und dass ich stets geglaubt hatte, in ihrem besten Interesse zu handeln. Alles, was ich fühlte, schien irgendwie im Konflikt miteinander zu stehen. Ich fragte mich, ob Nessel alles wusste, was ich war, oder ob sie lediglich von einem Mann gehört hatte, der sie gezeugt und durch seine Abstammung in Gefahr gebracht hatte. Hatte ihr irgendjemand die Gabe erklärt? Wusste sie, dass ich über die Alte Macht gebot? Ich hatte ihr persönlich sagen wollen, dass ich ihr Vater war - falls ich mich denn je dazu entschlossen hätte. Wäre das leichter für sie gewesen, oder härter? Ich wusste es nicht. Es gab so viel, was ich nicht wusste, und so viel, was sie nicht über mich wusste.
Dann fiel mir ein anderer Aspekt des Ganzen auf. Wenn Nessel sich in Bocksburg befand, und wenn sie sich unserer Gabe öffnen konnte, wären wir in der Lage, mit der Königin zu kommunizieren und ihr alles zu berichten, was geschah. Mich überkam eine seltsame Erregung. Jetzt verfügte Prinz Pflichtgetreu über eine funktionierende Kordiale.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Dick mir den Becher zurückgab. Er war leer. »Ist dir nun ein wenig wärmer?«, fragte ich.
»Ein wenig«, gab er zu.
»Mir auch«, erklärte ich, doch das hatte nichts mit Tee oder ähnlichem zu tun. Es gibt Augenblicke, da schlägt das Herz eines Mannes so schnell und stark, dass keine Kälte ihn zu berühren vermag. Ich fühlte mich lebendig und komplett, alle meine Taten gerechtfertigt. Dick kuschelte sich wieder in sein Bett, meine Decke noch immer um die Schultern. Mir war das egal. Vorsichtig sagte ich: »Falls Nessel diese Nacht in deinen Traum kommen sollte, würdest du ihr dann bitte sagen, dass ... dass ...« Dass ich sie liebte? Nein. Es war noch zu früh für diese Worte, und wenn ich sie sprach, sollte sie sie von meinen eigenen Lippen hören. Jetzt wären sie nur das seltsame Geplapper eines schattenhaften Vaters, den sie noch nie getroffen hatte. Nein. »Würdest du ihr bitte sagen, dass sie der Königin berichten soll, wir seien gut auf der Insel angekommen?« Absichtlich hielt ich die Botschaft so allgemein wie möglich. Nach wie vor vermochte ich nicht zu sagen, ob der Drache Tintaglia Dick und Nessel belauschen konnte.
»Nessel mag die Königin nicht. Sie ist zu nett. Sie schenkt Nessel viele hübsche Röcke, schöne Düfte und glänzendes Zeug. Sie ist nicht Nessels Mutter! Aber sie behält sie in ihrer Nähe und lässt sie nur mit einer Wache vor die Türe gehen. Nessel hasst das. Und sie hat schon genug Unterricht bekommen. Vielen Dank!«
Trotz meiner Sorgen konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Mir gefiel der Gedanke nicht, dass Nessel und Kettricken aneinander gerieten, doch rückblickend war das wohl unvermeidlich gewesen. Ich hörte das an der Art, wie Dick Nessels Worte wiedergab. Gleichzeitig war es jedoch eine große Erleichterung für mich, dass zu viele Röcke und Unterricht Nessels einzige Sorgen waren. Auch wenn das Ganze mein Leben um ein Vielfaches komplizierter gestalten würde, war ich fast albern glücklich.
Dick schlief ein, aber ich wollte noch ein wenig nachdenken. Ich ging wieder zum verlöschenden Feuer hinaus und schloss hinter mir die Zeltklappe. Dann kratzte ich den restlichen Brei aus dem Kessel und aß ihn, und da ich der Letzte war, musste ich anschließend den Kessel schrubben. Das tat ich dann auch mit Sand und Meerwasser, doch nicht einmal spürte ich den rauen Sand oder das kalte Wasser. Meine Gedanken waren anderswo. Ob Kettricken Nessel wohl in meinem alten Zimmer untergebracht hatte? Trug meine Tochter jetzt Schmuck und Kleider einer Prinzessin? Ich schenkte
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