Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
Wangenknochen stachen noch immer viel zu weit hervor.
Ich wollte ihm sagen, dass irgendjemand er hatte sein müssen, da er selbst ja vollkommen aufgehört hatte zu sein. Stattdessen fragte ich nur: »Warum nicht?«
»Es macht mich nervös.« Er atmete tief ein und stieß einen lauten Seufzer aus. »Wie lange sind wir eigentlich schon hier?«
Es war das dritte Mal, dass er mich in jener Nacht geweckt hatte. Inzwischen hatte ich mich daran gewöhnt. Tatsächlich hatte er nachts noch nie gut schlafen können, und so erwartete ich das auch nicht von ihm. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie ich beschlossen hatte, nur noch bei Tag zu schlafen, vor allem als Burrich über mich gewacht hatte, in den Tagen, da ich mich von meinem Aufenthalt in Edels Verliesen erholte. Es gibt Zeiten, da ist es tröstlich, mit dem Sonnenlicht auf den geschlossenen Augenlidern zu schlafen, und Zeiten, wenn ein stilles Gespräch in der Nacht besser ist als Schlaf, egal, wie müde man auch ist. Ich dachte darüber nach, wie viel Zeit vergangen war, seit ich den Leichnam des Narren durch den Pfeiler getragen hatte. Es fiel mir seltsam schwer. Die unterbrochenen Nächte und die sonnendurchfluteten Tage voller Ruhe wurden einfach immer mehr. »Fünf Tage, wenn wir die Tage zählen, und vier Nächte, wenn wir die Nächte zählen. Mach dir keinen Kopf deswegen. Du bist noch immer schwach. Ich will nicht durch den Gabenpfeiler, bevor du nicht stärker geworden bist.«
»Ich will überhaupt nicht durch den Gabenpfeiler.«
»Hm.« Dieser Laut sollte mein Verständnis signalisieren. »Aber irgendwann werden wir es müssen. Ich kann Dick nicht auf ewig beim Schwarzen Mann lassen. Und ich habe Chade gesagt, dass wir beim Eintreffen des Schiffs am Strand warten würden. Das dürfte in - lass mich nachdenken - fünf Tagen der Fall sein ... glaube ich.« Im Eislabyrinth hatte ich die Zeit aus den Augen verloren. Ich versuchte, mir deswegen keine Sorgen zu machen. Seit unserem gescheiterten Heilversuch hatte ich mich jeglichem Gabenkontakt zur Kordiale verweigert. Mehrere Male hatte ich ein vages Kratzen an der Tür vernommen, doch entschlossen hatte ich es ignoriert. Vermutlich machten sie sich bereits Sorgen um mich. Um mich selbst zu überzeugen, sagte ich laut: »Ich habe ein Leben, zu dem ich zurückkehren muss.«
»Ich nicht.« Der Narr klang recht zufrieden ob dieser Tatsache. Das ermutigte mich. Manchmal, tagsüber, erstarrte er noch immer kurz, als suche er nach einer Zukunft, die ihn nicht länger rief. Ich fragte mich, wie sich das wohl für ihn anfühlte. Sein ganzes Leben lang hatte er darauf hingearbeitet, die Zeit auf einen Kurs zu lenken, den er für den besten hielt, und genau das hatte er erreicht: Wir lebten in der Zukunft, die er geschaffen hatte. Ich glaube, er schwankte zwischen Befriedigung ob er Zukunft, die er gemacht hatte, und Sorge über die Rolle, die er darin spielen würde. Falls er denn überhaupt über solche Dinge nachdachte. Manchmal saß er einfach nur da, die verletzten Hände im Schoß, und blickte auf die Erde zu seinen Füßen. In diesen Augenblicken schauten seine Augen in eine unbestimmte Ferne, und sein Atem ging flach, sodass sich sein Brustkorb kaum hob oder senkte. Ich wusste, dass er dann versuchte, den sinnlosen Dingen einen Sinn zu geben. Ich versuchte nicht, ihm das auszureden. Aber ich versuchte - wie jetzt -, stets optimistisch zu sein, was die kommenden Tage betraf.
»Das ist richtig. Du hast kein Leben, zu dem du zurückkehren müsstest, keine Last auf deinen Schultern, keine Pflichten. Du bist gestorben. Siehst du, wie angenehm es sein kann, wenn man gestorben ist? Bist du erst einmal gestorben, erwartet niemand mehr von dir, dass du König wirst. Oder ein Prophet.«
Er stützte sich auf einen Ellbogen auf. »Du sprichst aus Erfahrung«, sagte er nachdenklich, meinen scherzhaften Ton ignorierend.
Ich grinste. »Ja, das tue ich.« Er legte sich wieder auf den Mantel neben mich und starrte in den Himmel hinauf. Er hatte nicht gelächelt. Ich folgte seinem Blick. Die Sterne verblassten. Ich rollte mich von ihm weg und stand leichtfüßig auf. »Es ist bald Zeit, um zu jagen. Die Dämmerung kommt. Fühlst du dich stark genug, mich zu begleiten?«
Ich musste auf die Antwort warten. Dann schüttelte er den Kopf. »Ganz ehrlich? Nein. So müde wie jetzt war ich noch nie in meinem Leben. Was hast du mit meinem Körper gemacht? Ich habe mich noch nie so zerschlagen gefühlt.«
Du bist vor Kurzem erst
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