Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
versickert. Doch selbst das stellte die Bleiche Frau noch nicht zufrieden. Sie geriet außer sich vor Wut und schrie, sie alle müssten in den Drachen gehen und dass er nicht aufsteigen würde, bevor nicht jemand zur Gänze in ihn übergegangen sei.«
Er schaute uns an, verwirrt von unseren faszinierten Blicken. »Ich spreche Outislander nicht so gut, wie ich sollte. Ich weiß, es klingt verrückt, dass sie wollte, dass jemand ganz in den Drachen geht. Aber so hat Revke es mir erzählt - glaube ich. Ich könnte mich natürlich auch irren.«
»Nein, ich nehme an, genau das hat er gesagt. Sprich weiter«, bat ich ihn.
»Schließlich hat sie angeordnet, dass man Kebal Raubart dem Drachen übergeben solle. Revke hat erzählt, dass die Wachen, als sie ihn losgekettet haben, die Kraft des alten Kriegers und seinen Hass auf die Bleiche Frau unterschätzt hätten. Die Wachen packten ihn und schleppten ihn zum Drachen, und er wehrte sich die ganze Zeit über. Dann sprang er plötzlich genau auf die Bleiche Frau zu. Er packte sie an den Handgelenken und lachte und schrie, sie würden gemeinsam in den Drachen gehen und im Triumph über den Äußeren Inseln aufsteigen. Das sei die einzige Möglichkeit zu gewinnen. Und dann zerrte Raubart die kreischende und um sich tretende Frau zum Drachen. Und dann...« Er hielt wieder inne. »Ich gebe nur das wieder, was Revke mir erzählt hat. Es ergibt keinen Sinn, aber...«
»Sprich weiter!«, befahl ihm Chade heiser.
»Raubart ist rückwärts in den Drachen gegangen. Er ist irgendwie mit ihm verschmolzen und hat die Bleiche Frau hinter sich hergezogen.«
»Sie ist in den Drachen gegangen?«, rief ich.
»Nein! Nicht ganz. Raubart ist im Drachen verschwunden und hat sie hinter sich hergezogen. Also sind ihre Hände und Handgelenke hineingegangen. Sie schrie ihren Wachen zu, ihr zu helfen, und schließlich packten zwei Männer sie und zogen sie zurück. Aber ... aber ihre Hände waren weggeschmolzen. Verschwunden im Drachen.«
Der Prinz hatte die Hand vor den Mund geschlagen. Ich zitterte. »Ist das alles?«, hakte Chade nach. Ich fragte mich, woher er diese Ruhe nahm.
»Fast. Das, was von ihren Händen übrig geblieben war, war wohl irgendwie verbrannt. Es blutete nicht, sondern war regelrecht versengst, hat Revke gesagt. Er hat erzählt, dass sie einfach nur dagestanden und auf die Stümpfe gestarrt hätte. In diesem Augenblick ist der Drache zum Leben erwacht. Als er sich bewegte, hob er den Kopf zu hoch, und große Teile der Decke kamen herunter. Revke hat gesagt, alle seien weggerannt, sowohl vor der einstürzenden Decke als auch vor dem Drachen. Und dass er sich noch immer vor dem Drachen versteckt hätte, als er plötzlich wieder zu Verstand kam.« Sieber hielt abermals inne und sagte dann unter Schwierigkeiten: »Ich kann euch nicht erklären, wie es sich anfühlt. Ich war in meiner Zelle, den Rücken zur Wand, und versuchte, nicht einzuschlafen, denn dann hätten die anderen mich getötet. Dann blickte ich nach unten und sah Hest tot auf dem Boden. Und plötzlich betrübte es mich, dass er tot war, denn er ist mein Freund gewesen.« Er schüttelte den Kopf, und seine Stimme wurde zu einem Flüstern. »Schließlich habe ich mich daran erinnert, dass ich ihn getötet habe.«
»Es war nicht deine Schuld«, sagte der Prinz ruhig.
»Aber ich habe es getan. Ich war es, ich...«
Ich fiel ihm ins Wort, bevor er weiter darüber nachdenken konnte, was er getan hatte. »Und wie seid ihr rausgekommen?«, fragte ich.
Sieber schien mir fast dankbar für die Frage zu sein. »Revke hat uns die Tür geöffnet und uns durch den Palast geführt. Er ist wie ein riesiges Labyrinth unter dem Eis. Schließlich traten wir durch eine Tür hinaus, die wie ein Riss im Eis aussah. Draußen angekommen, wusste zunächst niemand, was wir als Nächstes tun sollten. Die anderen kannten keinen Ort auf der Insel, wo wir hätten Unterschlupf finden können. Aber ich konnte von unserem Standort aus geradeso das Meer sehen. Ich habe ihnen gesagt, wenn wir zum Strand gehen und ihm folgen würden, müssten wir schließlich zu unserem Basislager gelangen, selbst wenn wir vorher die ganze Insel umrunden müssten. Tatsächlich hatten wir sogar Glück. Wir haben den kürzeren Weg genommen und sind so noch vor euch angekommen.«
Es gab noch eine letzte Frage, und Sieber beantwortete sie, bevor ich sie stellen konnte. »Du weißt, wie hart der Wind des Nachts hier weht, Tom. Der Schnee hat vermutlich all unsere
Weitere Kostenlose Bücher