Die 39 Zeichen 02 - Mozarts Geheimnis
»Wo kommt all das Wasser her?«
»Hallo? Wir sind in Venedig!« Amys Arme und Beine arbeiteten wie Kolben. »Du erinnerst dich doch sicher an die Kanäle? Kletter weiter!«
»Da!«, rief er. »Tageslicht!«
Die späte Nachmittagssonne schien durch das Gitter eines Gullydeckels zu ihnen hinab. Kurz wallte in Amy Panik auf. Gullydeckel waren gewöhnlich aus Eisen und wogen eine Tonne. Was war, wenn sie wieder in der Falle saßen?
Doch diesmal war ihre Angst unbegründet. Dan konnte das Gitter ohne besondere Mühe beiseitekippen. »Plastik!«, lachte er. Er krabbelte aus dem Schacht und zog seine Schwester neben sich.
Sie sahen sich um. Sie standen auf einem schmalen steinernen Anleger, der neben einem von Venedigs berühmten Kanälen verlief.
Dan sah sich fasziniert um. »Whoa - es ist, als ob die Straße aus Wasser bestünde! Und als würden die Leute Boot statt Auto fahren!«
Amy nickte. »Einige Venezianer setzen nur selten ihren Fuß auf die Straße. Sie kommen auf den Kanälen überallhin.«
Der Moment touristischer Begeisterung wurde jedoch jäh beendet, als sie das Echo von Schuhen auf der Metallleiter hörten. Jonah rief: »Hier lang!«
Sie flohen über einen schmalen Steg, der ihre Anlegestelle mit einer anderen verband.
»Whoa!« Dan blieb abrupt stehen, und das gerade noch rechtzeitig. Der Weg endete plötzlich. Beinahe hätte er und mit ihm Nannerl Mozarts Tagebuchseiten ein unerwartetes Bad in dreckigem Kanalwasser genommen.
»Was sollen wir tun?«, quiekte Amy.
Ihr Blick fiel auf ein Motorboot, das direkt auf ihren Anleger zu fuhr und an einem Poller festmachte. Eine junge Frau sprang heraus und verschwand hinter dem nächsten Hauseingang. Offenbar war sie nur für kurze Zeit weg, denn sie hatte die Schlüssel in der Zündung stecken und den Motor laufen lassen.
Amy sah zu ihrem Bruder herüber, der von einem Ohr zum anderen grinste. »Das ist Diebstahl!«
Aber Dan war schon aufs Boot gesprungen. »Wir leihen
es uns nur und außerdem ist es ein Notfall!« Er zog seine Schwester an Bord und balancierte sie beide aus, als das kleine Fahrzeug unter ihrem Gewicht zu schaukeln begann. »Bleib sitzen!«, befahl er und legte den Gashebel um.
Das Boot schoss etwa 20 Zentimeter nach vorn, bevor es mit einem Ruck zurückgezogen wurde. Der Motor protestierte lautstark.
»Du hast vergessen, das Tau loszumachen!« Amy bückte sich, um das Halteseil zu entfernen, dann steuerten sie endlich durch die enge Wasserstraße.
Hinter ihnen flog der falsche Gullydeckel auf und daraus hervor kletterten Jonah, sein Vater und der Italiener mit dem Pferdeschwanz. Sie rannten zu einem weiteren Anlegeplatz und sprangen in ein Motorboot. Dicht gefolgt von zwei weiteren Booten des Janus-Clans fuhren sie in das trübe Wasser hinaus.
Dan beschleunigte und lenkte das Boot dorthin, wo er in dem Kanal die Überholspur vermutete. Schlanke Gondeln tanzten wie Korken auf ihrer Heckwelle. Gondolieri drohten mit den Fäusten und fluchten.
»Dan, das ist Irrsinn!«, rief Amy mit zitternder Stimme. »Du kannst doch gar kein Boot steuern!«
»Wer sagt das? Das ist nicht viel anders als bei der Xbox!«
Bamm ! Der Gummistoßdämpfer, der backbord am Bug des Motorboots angebracht war, stieß gegen das Ende eines alten, kopfsteingepflasterten Kais. Das kleine Fahrzeug
drehte sich wie ein Kreisel und warf Amy flach auf das Deck. Nur indem er sich mit eisernem Griff am Steuer festhielt, vermied es Dan, neben ihr zu landen.
»Okay, streich die Xbox - wie wär’s mit Autoscooter! Darin bin ich der Star! Erinnerst du dich noch an Karneval?«
Seine Schwester klammerte sich auf allen vieren an der Reling fest. » Vergiss den Karneval! Bring uns einfach hier raus!«
Er folgte ihrem Blick. Er war auf ihre Verfolger gerichtet. Die Wizards, die sich geschickt zwischen den langsamen Gondeln hindurchschlängelten, führten die Gruppe an.
Dan steuerte mit zu viel Schwung in die nächste scharfe Kurve. Mit einem Knirschen prallte das Motorboot von einem vertäuten Ruderboot ab und wurde in die Mitte des Kanals geschleudert.
Amy war entsetzt. »Du wirst uns beide noch umbringen!«
»Möchtest du lieber, dass ich anhalte und die Wizards die Chance bekommen, es an meiner Stelle zu tun?«, blaffte er zurück.
Direkt vor ihnen gabelte sich der Weg in drei Richtungen. Der linke Kanal sah schmal, zerklüftet und wenig einladend aus. Vielleicht würden die Wizards ihn meiden.
Dan steuerte auf ihn zu. »Mann, bin ich diesen alten Venedig-Typen
Weitere Kostenlose Bücher