Die 500 (German Edition)
Das Geräusch kam von rechts. Zweite amüsante Tatsache am Rande: Die Statuary Hall ist ellipsenförmig. Wenn man also zum Beispiel an der Stelle steht, wo früher John Quincy Adams’ Schreibtisch stand, dann kann man ein Gespräch auf der anderen Seite des Raums – oder in der anderen Richtung – mithören, als stünde man nur einen Meter daneben. So hatte Adams früher die Gespräche der Opposition belauscht. Und genau das tat jetzt anscheinend eine leichenblasse Nonne auf der anderen Seite der Halle. Schätzungsweise hatte sie aufgestöhnt, als sie ein paar Takte unserer Unterhaltung aufgeschnappt hatte.
Ich schob Walker ein paar Meter weiter weg.
»Und was wollte Irin Dragov i ´ c von Ihnen?«
»Zugang zu meinen Kreisen, Empfehlungen, was weiß ich? Ich glaube, Sie wollte mich als Sprungbrett benutzen, um an noch mächtigere Männer ranzukommen.« Walker schüttelte den Kopf. »Ich hielt es für besser, mich nicht noch mal mit ihr einzulassen.«
»Sie haben Sie also nicht mehr angerufen?«
»Sie war ohnehin schon weitergezogen. Hab gehört, sie hätte sich an irgendein hohes Tier aus dem Finanzministerium rangemacht. Nur darum ging’s ihr. Mit Sex hatte das für sie überhaupt nichts zu tun.«
Er machte eine Pause, bis ein paar Abgeordnete des Repräsentantenhauses an uns vorbeigegangen waren.
»Es war ein Machtspiel. Sie ließ mich den Boss spielen und hat plötzlich den Spieß umgedreht und versucht, alles aus mir rauszukitzeln, was sie wollte. Und sie hat das auch ganz offen gesagt. ›Sie sind einer der mächtigsten Männer des Landes‹, hat sie gesagt. ›Und ich bin ein zwanzigjähriges Mädchen. Aber ich kann sie Männchen machen lassen, weil Sie mich vögeln wollen.‹«
Walker lachte. »Und damit hat sie ja auch völlg recht. In dieser Stadt, mit diesen Augen und diesen Titten, gut möglich, dass sie nächstes Jahr das Land regiert.«
»Und ihr Vater?«
»Der ist die Sorte Mann, mit der man nie was zu tun haben will. Das wenige, was ich über ihn weiß, reicht mir, mehr will ich gar nicht wissen.«
»Warum?«
»Vielleicht bekomme ich ja mal mit ihm zu tun, da ist es besser, ich weiß so wenig wie möglich. Glaubwürdige Abstreitbarkeit, so nennt man das Spiel.«
»Wissen Sie etwas über Ärger mit der Justiz, über irgend welche Probleme, dass er des Landes verwiesen werden könnte?«
»Nein, will ich auch gar nicht wissen.«
Er wusste sicher nichts über Rado, also beließ ich es dabei. Wir gingen ein paar Schritte, und ich schnappte einen Seiten blick von ihm auf, der ziemlich eindeutig »Sie gerissener Hund« besagte.
»Und was interessiert Sie an der reizenden Irin Dragov i ´ c ?«, fragte er. »Auf der Suche nach einem Sparringspartner?«
»Nicht, was Sie denken.«
»Sicher«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Ja, ja, wenn der Zuckerstängel ruft.« Zuckerstängel, schon wieder. Auch diesmal wollte ich nicht genauer wissen, was das bedeutete.
Im Korridor hinter uns schlug fünfmal eine Uhr, die mich an die alte Uhr aus meiner Schule erinnerte. Im oberen Drittel, zwischen zehn und zwei Uhr, hatte sie acht Lämpchen. Fünf leuchteten weiß, eins rot.
»Ich muss zur Abstimmung«, sagte Walker.
»Die Lämpchen und das Klingeln, ist das das Signal?«
»Keine Ahnung«, sagte er und hob sein Blackberry hoch. »SMS von Charles.« Er winkte seinen Berater zu sich. »Hast du meinen Spickzettel?«
Charles gab ihm eine Karteikarte.
»Ja. Ja. Nein. Ja«, las Walker laut ab. »Kinderleicht.«
»Worüber wird abgestimmt?«
Walker warf die Hände in die Luft. »Keinen Schimmer. Fragen Sie Charles. Ich muss jetzt los. Ach übrigens, heute Abend schon was vor? Ich gebe eine kleine Party. Wird sicher ein Brüller.«
Walker und ich hatten unterschiedliche Vorstellungen von einem Brüller. »Ein andermal«, sagte ich.
Ich ließ die Nonnen so schnell ich konnte hinter mir. Ich hatte gehofft, meine Befürchtungen würden sich als falsch erweisen. Wie angenehm wäre es, wenn ich die ganze Sache einfach abhaken könnte. Aber nach Walkers Geschichte war ich sogar noch beunruhigter. Irin wäre der perfekte Lockvogel für den Mann auf der Audiodatei.
13
W illiam Marcus war sicher ein vorsichtiger Mensch, aber ich glaube, nach all den Berufsjahren hatte der Spion schließlich doch einen Meister auf seinem Spezialgebiet gefunden: Mrs. Marcus. Trotz aller Decknamen und ungewöhnlichen Treffpunkte, die Marcus benutzte, um reale wie imaginäre Widersacher in die Irre zu führen, war es nun
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