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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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aufgestellten Daumen. Schön, dass ich hier sei, sagte er, er könne mich verstehen, trotzdem: schön, dass ich hier sei.
    Über die Weihnachtsferien fuhren die Lundins zum Skifahren nach St. Moritz. Am zweiten Feiertag nahm ich im Badezimmer einen der Saugnäpfe von der Wand, an denen die Handtücher hingen, steckte meinen Zirkel und eine Taschenlampe ein und fuhr nach Liechtenstein. Zwei Stationen vor dem Lundin’schen Anwesen stieg ich aus dem Bus. Ich kletterte über das Tor, es war Abend, das Haus war dunkel. Ich ritzte mit der Zirkelspitze einen Kreis in das Gangfenster neben der Haustür, drückte den Saugnapf in die Mitte und riss fast lautlos ein Loch aus dem Glas. Es funktionierte genau so, wie es mir Emil beschrieben hatte. Ich öffnete das Fenster und stieg ein. Major Hajós hatte vor mir geprahlt, dass Eltern gern die Geburtsdaten ihrer Kinder als Zahlencode für den Safe verwenden; dies wissend, hätten er und seine Kollegen ein Vermögen aus konfiszierten Häusern und Wohnungen des Klassenfeindes gewonnen, er höchstpersönlich habe in der Villa des Lederfabrikanten Krisztofer Hajnal in Vizivaros vier Safes mit Hilfe der Geburtstage von dessen vier Töchtern geöffnet, der Inhalt werde ihm einen würdigen Start in Amerika ermöglichen. Mir war bekannt, wann Leif geboren war, und ich hatte, ohne Verdacht zu wecken, die Daten von Olivia und Janna aus ihm herausgelockt. Auch wo der Safe war, hatte er mir während unseres Disputs über Gegenwartsgeld anvertraut, nämlich hinter dem einzigen Gemälde im Hausflur, auf dem nicht nur Landschaft mit Dünen und Meer zu sehen war, sondern der berühmte im Sand versinkende Leuchtturm von Rubjerg Knude an der Westküste Dänemarks. Ich hob das Bild von der Wand, hielt die Taschenlampe mit den Zähnen fest und drehte den Knopf auf der Stahltür nacheinander auf die Ziffern von Jannas Geburtstag – 26-5-58. Die Tür sprang auf, und ich räumte das Geld ab, das sich darin befand, es dürften um die 3000 Franken gewesen sein. Mitten im Abzählen ging das Licht an, und Frau Lundin stand vor mir. Sie trug einen weißen Bademantel, und sie schrie, nicht laut schrie sie, kurze hohe Schreie waren es, und sie war auch schon bei mir und sperrte mich zwischen ihren Armen an die Wand. Der Gürtel ihres Bademantels fiel ab, und ich sah auf ihren nackten Körper. Ich wollte mich unter ihren Armen davonducken, rutschte aber auf den Geldscheinen aus und fiel hin, und sie warf sich über mich und presste meinen rechten Arm mit ihren Knien und ihrem ganzen Gewicht auf den Boden. Und auf einmal stand noch eine Person in der Tür. Auch sie trug einen weißen Morgenmantel. Erst erkannte ich sie nicht. Es war die junge Frau, die im Haushalt half und die Bebe genannt wurde. Sie hatte einen Gegenstand in der Hand, ich konnte ihn nicht abwehren, nur den Kopf wenden konnte ich, sie schlug damit gegen meine Schläfe und noch einmal und noch einmal und noch einmal. Frau Lundin schrie: »Bebe, Bebe! Hör auf, du bringst ihn ja um!« Sie stieß Bebe zur Seite und wand ihr das Ding aus den Händen, es war ein silberner Kerzenständer. Sie brüllte Bebe an, dass sie eine ganz dumme Idiotin sei, die nicht einen Gedanken in ihrem Spatzenhirn habe. Ich versuchte, mich aufzurichten, aber ich kam nicht hoch, ich spürte, wie mir das Blut in die Haare und den Nacken hinunterfloss und in die Augen und wie die Luft aus meiner Brust wich, ohne dass ich sie hätte aufhalten können, und verlor das Bewusstsein. Gleich war ich aber wieder da. Frau Lundin hielt nun eine Pistole in beiden Händen, die richtete sie auf mich und weinte dabei. Sie ging neben mir in die Hocke, und Bebe ging auf die Knie, und beide redeten mit mir. Bebe tupfte mir mit ihrem Bademantel das Blut vom Gesicht und sagte, es tue ihr leid, dass sie mich so zugerichtet habe, und Frau Lundin fragte mich, was denn in mich gefahren sei, ich sei doch kein Verbrecher, warum ich plötzlich ein Verbrecher sei. Ich sagte, ich wisse es auch nicht, riss ihr die Pistole aus der Hand und schoss ihr zweimal ins Gesicht. Bebe lief davon, und ich lief hinter ihr her. Ich trieb sie in eine Ecke der Küche und zielte auf sie, die Pistole mit beiden Händen haltend, aber ich schoss nicht.
    »Lass mich doch bitte leben«, flehte sie.
    Sie setzte sich auf einen Stuhl und weinte und sagte immer wieder: »Lass mich bitte, bitte leben.«
    Ich wusste nicht, was ich mit der Pistole tun sollte, und steckte sie in den Gürtel. Dann habe ich mir den Kopf mit kaltem

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