Die Abenteuer des Sherlock Holmes Bd.1
Anfang an zutage, daß dieser Mr. Hosmer Angel einen triftigen Grund für sein seltsames Benehmen haben mußte, und es schien, soweit wir es beurteilen konnten, eben so klar, daß der einzige, der von den Vorfällen tatsächlich profitierte, der Stiefvater war. Dann gab der Umstand zu denken, daß die beiden Männer niemals zusammengetroffen sind und der eine nur auftrat, wenn der andere abwesend war. Die gefärbten Brillengläser und die eigenartige Stimme wiesen, wie auch die buschigen Koteletten, auf Verkleidung hin. Meine Verdachtsgründe verfestigten sich, als ich sah, daß er seine Unterschrift merkwürdigerweise mit der Maschine schrieb; dies wiederum wies darauf hin, daß seine Schrift ihr so vertraut war, daß sie die kleinste Probe erkannt hätte. Sie sehen, alle diese voneinander unabhängigen Fakten im Verein mit vielen unwichtigen anderen deuteten in dieselbe Richtung.«
»Und wie stellten Sie fest, daß Ihre Wertung richtig war?«
»Nachdem ich einmal meinen Mann ausgemacht hatte, war es leicht, die Bestätigung zu finden. Ich kannte die Firma, für die er arbeitete. Von der gedruckten Personenbeschreibung strich ich alles ab, was nach Verkleidung aussah, die Koteletten, die Gläser, die Stimme, und wandte mich an die Firma mit der Bitte, mich ins Bild zu setzen, ob die Beschreibung auf einen ihrer Reisenden paßte. Außerdem waren mir bereits die Besonderheiten der Schreibmaschinenschrift aufgefallen; so schrieb ich dann an den Mann selber unter seiner Geschäftsadresse und fragte an, ob er mich aufsuchen wolle. Wie ich erwartet hatte, verfaßte er seine Antwort mit der Maschine, und ich stellte dieselben unerheblichen, aber charakteristischen Schäden fest. Mit gleicher Post erhielt ich einen Brief von der Firma Westhouse and Marbank aus der Fenchurch Street, in dem es hieß, daß die Beschreibung in jeder Hinsicht auf ihren Angestellten James Windibank zuträfe. Voilà tout!«
»Und Miss Sutherland?«
»Wenn ich ihr das alles erzähle, wird sie mir nicht glauben. Vielleicht erinnern Sie sich des alten persischen Sprichworts: ›Der begibt sich in Gefahr, welcher einem Tiger das Junge raubt‹; und in Gefahr begibt sich auch der, der einer Frau die Täuschung nimmt. Bei Hafis finden Sie soviel Vernunft wie bei Horaz und ebensoviel Weltkenntnis.«
Das Rätsel im Boscombe-Valley
Meine Frau und ich saßen eines Morgens beim Frühstück, als unser Hausmädchen ein Telegramm hereinbrachte. Es war von Sherlock Holmes und lautete folgendermaßen:
›Können Sie sich für zwei Tage frei machen? Bin eben aus dem Westen Englands wegen der Tragödie im Tal von Boscombe gerufen worden. Würde mich freuen, wenn Sie mitkämen. Luft und Gegend tadellos. 11.15 Uhr ab Paddington.‹
»Was sagst du dazu, Lieber«, fragte meine Frau und blickte mich an, »wirst du fahren?«
»Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll. Ich habe gerade jetzt ein großes Pensum.«
»Oh, Anstruther würde dich in der Arbeit vertreten. Du siehst in letzter Zeit ein bißchen blaß aus. Ich denke, daß dir die Veränderung gut täte, und Sherlock Holmes’ Fälle haben dich doch seit je interessiert.«
»Es wäre undankbar, wenn sie mich nicht interessierten, da mir mit dir doch stets vor Augen steht, was ich durch einen der Fälle gewonnen habe«, antwortete ich. »Aber wenn ich mitfahren will, muß ich sofort packen, denn es bleibt nur noch eine halbe Stunde Zeit.«
Das Militärleben in Afghanistan hatte mir wenigstens den Vorteil eingetragen, daß ich ein jederzeit reisebereiter Mensch geworden war. Meine Ansprüche sind gering und einfach. So saß ich bald mit meiner Reisetasche in einer Kutsche und rollte in Richtung Paddington Station.
Sherlock Holmes ging auf dem Bahnsteig hin und her, seine hohe hagere Gestalt wirkte durch den langen grauen Reisemantel und die knappsitzende Tuchmütze noch dünner und länger als sonst.
»Es ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, daß Sie gekommen sind, Watson«, sagte er. »Ich fühle mich gleich sicherer, wenn jemand bei mir ist, auf den ich mich völlig verlassen kann. Hilfe vom Ort ist entweder wertlos oder irgendwie vorbelastet. Wenn Sie diese beiden Eckplätze belegen wollen, hole ich die Fahrkarten.«
Wir hatten das Abteil für uns, von einem gewaltigen Haufen Papier, den Holmes mitgebracht hatte, abgesehen. Darin wühlte und las er herum, legte nur Pausen ein, um Notizen zu machen und nachdenkend vor sich hin zu starren,
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