Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
Vom Netzwerk:
ihr Vater manchmal lauthals nach ihr rief, obwohl sie direkt neben ihm stand. Wenn sie dann plötzlich aus dem Nichts auftauchte, fuhr er zusammen und schimpfte: »Du sollst mich doch nicht so erschrecken! Mir bleibt noch mal das Herz stehen!«
    Einzig die Kunst der Nebelmenschen konnte Nadia jetzt retten. Sie hatte Borobá angewiesen, einige Minuten zu warten, ehe er hinter ihr herkam, denn mit dem Affen auf der Schulter konnte sie nicht verschwinden, und jetzt richtete sie ihren Blick nach innen, auf diesen geheimnisvollen Ort, der sich in uns auftut, wenn wir die Augen schließen und alles Denken aus unserem Kopf verscheuchen. Im Nu erreichte sie einen Zustand wie in Trance. Sie spürte, wie sie sich aus ihrem Körper löste, und konnte sich von oben betrachten, als schwebte ihr Bewusstsein einige Meter über ihrem Kopf. Von dort sah sie, wie ihre Füße einen Schritt nach vorn machten, dann noch einen und noch einen, weg von Pema und den anderen, in Zeitlupe durch die schummrigen Grotten der Banditenhöhle.
    Sie hatte sich schon dicht an der widerlichen Frau mit der Peitsche vorbeigeschoben und glitt jetzt wie ein lautloser Schatten zwischen den schlafenden Kriegern hindurch auf den Höhlenausgang zu, wo der übermüdete Wächter, das Gewehr in der Hand, gegen den Schlaf ankämpfte und mit hohlen Augen in die Nacht starrte. Hätte sie auf ihre Angst geachtet oder sich auch nur für einen Augenblick ablenken lassen, ihr Körper wäre ihr zum Verräter geworden. Aber Nadia ging, gleichmäßig einen Fuß vor den anderen setzend, auf den Mann zu, streifte fast seinen Rücken, war so nah, dass sie seine Körperwärme wahrnehmen konnte und ihr sein Gestank nach Schmutz und Knoblauch in die Nase stieg.
    Den Wachposten überlief ein leichter Schauer, und er umklammerte sein Gewehr fester, als hätte er gespürt, dass da jemand neben ihm war, aber dann sagte er sich sofort, dass das ja nicht sein konnte. Seine Finger entspannten sich wieder, die Lider fielen halb zu, und er war vollauf damit beschäftigt, nicht vor Erschöpfung einzuschlafen.
    Wie ein Spuk glitt Nadia ins Freie und weiter in die Dunkelheit hinein, ohne sich umzublicken und ohne Eile. Die Nacht verschluckte sie.
    ~
    Kaum war Nadia aus diesem Zustand der Schwerelosigkeit in ihren Körper zurückgekehrt und hatte sich umgesehen, wurde ihr klar, dass sie den Rückweg nach Tunkhala selbst am helllichten Tag kaum finden würde, wie sollte sie es da mitten in der Nacht schaffen. Berge wohin sie blickte, und weil sie mit einer Decke über dem Kopf hierher verschleppt worden war, hatte sie nicht den geringsten Anhaltspunkt für den Rückweg. Fest stand nur, dass sie stetig bergauf geritten waren, sie also zurück den Hang hinunter musste, aber wie sollte sie das anstellen, ohne auf Blaue Krieger zu treffen? Einer war jedenfalls etwas weiter unten, wo der Wildwechsel verlief, bei den Pferden geblieben, aber bestimmt waren noch mehr in den Hängen verteilt. Auf dem Herweg hatten sie mit ihren Pferden doch einen Höllenlärm gemacht und dann auch noch Fackeln entzündet, also waren sie sicher so zahlreich, dass sie sich vor einem Angriff nicht zu fürchten brauchten. Sie würde einen anderen Fluchtweg finden müssen.
    »Wie weiter?«, fragte sie Borobá, als der wieder auf ihre Schulter gesprungen war, aber der Affe kannte nur den Weg, den auch die Skorpionkrieger genommen hatten.
    Borobá war die Kälte so wenig gewöhnt wie Nadia und schnatterte, dass die Zähnchen aufeinander schlugen. Nadia packte ihn sich unter die Daunenjacke und war bloß froh, dass sie ihren kleinen Gefährten bei sich hatte. Sie zog die Kapuze über den Kopf, zurrte sie unterm Kinn fest und dachte sehnsüchtig an die Handschuhe, die Kate ihr gekauft hatte. Ihre Finger waren taub vor Kälte. Sie steckte sie in den Mund und hauchte sie an, vergrub sie dann in den Taschen, aber so würde sie in diesem steilen Gelände kaum laufen, geschweige denn klettern können. Spätestens wenn die Sonne aufging, würden ihre Entführer merken, dass sie geflohen war, und dann würden sie alles daransetzen, sie zu finden, schließlich konnten sie es sich nicht erlauben, dass eine derGefangenen es bis ins Tal schaffte und ihr Versteck verriet. Zweifellos waren diese Berge ihnen vertraut, sie dagegen hatte keine Ahnung, wo sie sich befand.
    Die Blauen Krieger würden annehmen, dass sie den Hang hinab geflohen war, dorthin, wo die Dörfer und Täler des Verbotenen Reichs liegen mussten. Um sie abzuschütteln,

Weitere Kostenlose Bücher