Die Abtei von Wyldcliffe - Die Schwestern der Dunkelheit
mir. Sie hat mich herumgeführt und mir geholfen, wo es nur ging. Ich glaube, sie mag mich irgendwie, weil ich lesen kann und versprochen habe, es ihr beizubringen. Zuerst haben die anderen Mädchen mir meine Geschichte nicht geglaubt und mich sehr skeptisch gemustert, aber dann haben sie mich mehr und mehr akzeptiert. Ich habe ihnen erzählt, dass ich eine Waise bin, die bei einer herrschaftlichen Familie als Hauslehrerin angestellt gewesen war, ehe ich ohne jedes Zeugnis davongejagt wurde, nachdem der Hausherr zu großes Interesse an mir gezeigt hatte. Es ist eine armselige und ziemlich gewöhnliche Geschichte, aber sie glauben sie und finden sie beinahe romantisch. Sie seufzen und hoffen, dass ich auf wundersame Weise von meinen Eltern gefunden werde, die ihrer Meinung nach aus einem reichen Herrn und einer reichen Dame bestehen und mich nur zu gern in ihrer Kutsche von hier wegholen möchten. Wenn sie nur die Wahrheit wüssten.
Aber ich darf nicht an die Vergangenheit denken. Ich darf nicht zurückblicken. Mein einziger Trost ist das Mädchen mit den roten Haaren, das mich in meinen Träumen verfolgt, als wäre sie ein Teil von mir. Gestern Nacht habe ich sie schon wieder gesehen, als sie am rastlosen Meer entlangging. Ich weiß, dass es meine Bestimmung ist, mit ihr in Verbindung zu treten. Abgesehen von ihr muss ich alles vergessen, was mich einmal mit Wyldcliffe verbunden hat.
Einunddreißig
I ch wusste zwar nicht warum, aber irgendwie war es wichtig für mich, eine Verbindung zwischen mir und Wyldcliffe zu finden. Daher war ich ziemlich aufgeregt, wenn ich mir vorstellte, dass ich schon bald Uppercliffe Farm aufsuchen würde. Die Tage vergingen rasch, während ich mit Sarah den Ausflug plante und reiten übte. Trotz dieser Ablenkungen sehnte ich mich aber immer noch nach Sebastian. Bitte vergib mir; bitte versuch, mich zu erreichen, betete ich Nacht für Nacht, und jeden Morgen beäugte ich die Briefe, die in der Eingangshalle lagen. Aber er schrieb nicht.
Ich musste über ihn hinwegkommen und ihn vergessen. Aber eine Stimme in meinem Innern rief mir zu: Ich kann nicht … ich will nicht.
Der Morgen des Sonntags, für den wir unseren Ausflug geplant hatten, kam mir unendlich lang vor. Erst gab es dieses späte, gemütliche Frühstück. Dann gingen wir alle gemeinsam zur Kirche, während schwere Wolken über uns von Regen kündeten. Die düsteren Hymnen, die langen Gebete, die Predigt aus dem Evangelium … Und die Menschen liebten die Dunkelheit mehr als das Licht, weil ihre Taten von Übel waren … Und schließlich die Kälte auf dem Rückweg zur Schule, bevor wir endlich frei waren.
Ich ging in den Schlafsaal und zog ein Paar Jeans und Reitstiefel an, die Sarah mir geliehen hatte. Ein altes Sweatshirt verbarg Frankies Anhänger vor irgendwelchen Blicken. Ich war froh, dass ich sie immer noch an meinem Band trug, besonders heute, da ich sehen würde, wo Frankies Familie einmal gelebt hatte. Während ich mich umzog, fragte ich mich, ob sie wohl jemals an mich dachte, und ich verspürte einen schmerzhaften Stich in meinem Herzen. Ich vermisste so vieles, das mit ihr verbunden war. Wie sie mich morgens immer mit einem großen Becher Tee und einem noch größeren Lächeln geweckt hatte. Wie sie das Meer und die Sterne und ihre einfachen Gartenblumen geliebt hatte. Wie sie mir in all den Jahren das Gefühl gegeben hatte, wichtig zu sein, einfach nur, indem sie mich geliebt hatte. Ich tue es auch für dich , versuchte ich ihr zu sagen, während ich die Marmorstufen hinunterging.
Als ich zu den Ställen kam, stieß ich dort auf Celeste und Sophie; sie trugen makellose Reithosen und Tweed-Jacken. Ein Junge im Teenager-Alter, den ich noch nie gesehen hatte, hielt die Zügel ihrer langbeinigen Pferde. Er hatte maisblonde Haare und ruhige, braune Augen. Ich vermutete, dass er aus dem Dorf stammte und am Wochenende bei der Arbeit in den Ställen half.
»Danke, Josh«, sagte Celeste und schwang sich mit Leichtigkeit in den Sattel. Sie und Sophie trabten klappernd davon. Ich hoffte, wir würden uns in den Moors nicht über den Weg laufen. Der Junge schenkte mir ein kurzes Lächeln, dann wandte er sich ab und beschäftigte sich wieder mit den anderen Pferden.
»Hey, Evie.« Sarah, die Bonny und Starlight an den Zügeln f?hrte, kam quer ?ber den Hof zu mir. Ich kletterte auf Bonnys breiten R?cken, und schon bald ritten wir den Weg jenseits des Schultors entlang. Ich atmete
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