Die Akte Nr. 113
durch eigene Kraft
abzuwehren.
Sie fühlte sich so krank, daß sie zwei Tage
das Zimmer hüten mußte. Zum erstenmal seit ihrer
Verheiratung war sie über die Abwesenheit ihres Mannes froh,
sie wäre nicht imstande gewesen, ihm in die Augen zu schauen.
Sie empfing auch ihre Söhne nicht, sie ließ
sagen, daß sie Migräne hätte, die Kinder
sich aber nicht sorgen sollten, es würde bald
vorübergehen.
Magda aber ließ sich nicht abweisen. Sie hatte den
Mann mit dem finsteren Blick, der die Tante besucht hatte, beim
Weggehen gesehen und bemerkt, daß die Tante seitdem leidend
war.
»Tantchen,« sagte sie teilnehmend,
»möchtest du nicht den Herrn Pfarrer kommen lassen,
er wird dich trösten und aufrichten.«
»Ich bedarf keines Trostes,« antwortete sie
gereizt, »ich habe nur Kopfschmerzen und wünsche
allein zu bleiben.«
Tag und Nacht dachte die unglückliche Frau nach und
suchte nach einem Ausweg und schließlich sagte sie sich,
daß sie sich fügen, daß sie alles geduldig
tragen müsse, nur um das Schreckliche von dem Haupte ihrer
Lieben abzuwenden. Wenn sie Clamerans Wünsche
erfüllt, wird sie wohl damit sein Schweigen erkaufen.
Herr Fauvel war von seiner Reise zurückgekehrt und
seine Frau hatte sich soweit gefaßt, daß sie ruhig
und freundlich wie immer scheinen konnte, aber sie schien es nur, in
Wirklichkeit lebte sie in steter Angst. Sie erschrak, wenn die Klingel
ertönte, fürchtete, so oft die Türe aufging,
den Marquis eintreten zu sehen und wagte nicht auszugehen, aus Furcht,
daß er in ihrer Abwesenheit kommen könnte. Sie
erwartete ihn von Minute zu Minute und es erfüllte sie mit
banger Sorge, daß er nicht kam, nichts von sich hören
ließ.
Die Qual war schier unerträglich geworden, als sie
endlich einen Brief erhielt. Er war nicht von ihm selbst geschrieben,
sondern von fremder Hand, er ließ sich entschuldigen, er
könne krankheitshalber nicht kommen, bitte sie aber dringend
am zweitnächsten Tage, in ihrem eigenen Interesse im Hotel du
Louvre zu erscheinen.
Sie verbrannte den Brief sofort und war fest entschlossen, der
Einladung nicht Folge zu leisten.
Als aber der Tag kam, ging sie einfach gekleidet und dicht
verschleiert aus. Erst in großer Entfernung von ihrem Hause
wagte sie es, einen Wagen zu nehmen, der sie zum Hotel brachte.
Mit Herzklopfen und Zagen fragte sie sich zurecht und stand
endlich vor der bezeichneten Türe. Sie klopfte leise an, als
sie aber eintrat, fand sie zu ihrem Erstaunen nicht den Marquis,
sondern einen jungen Mann, der sie ehrerbietig grüßte.
Sie glaubte sich im Zimmer geirrt zu haben und sagte
errötend: »Entschuldigen Sie, man sagte mir,
daß hier der Marquis von Clameran wohne ...«
»Man hat Sie recht gewiesen, gnädige
Frau,« versetzte der junge Mann.
Sie antwortete nicht und machte Miene, wieder zu gehen, da
fügte der Jüngling rasch hinzu: »Ich glaube
die Ehre zu haben, Frau Fauvel zu sprechen?«
Valentine erschrak. Also hatte Clameran ihr Geheimnis verraten!
»Beruhigen Sie sich, gnädige Frau,«
sagte der junge Mann, der ihren Schrecken bemerkte, »Sie sind
hier so sicher, wie in Ihrem eigenen Heim. Der Herr Marquis
läßt sich entschuldigen, er ist zu leidend, um Sie
sprechen zu können.«
»Warum aber hat er mir so dringend
geschrieben?«
»Er hatte allerdings Pläne, doch hat er
darauf verzichtet ...«
Überrascht fragte Frau Fauvel: »Wie, er
verzichtet ...?«
Der Blick des jungen Mannes drückte innigstes
Mitgefühl mit der Seelenqual der unglücklichen Frau
aus.
»Ja, gnädige Frau, der Marquis verzichtet
auf das, was er – mit Unrecht, für seine heilige
Pflicht ansah. Glauben Sie, er hat lange gezaudert und es ist ihm
schwer geworden, zu Ihnen zu gehen. Sie haben ihn abgewiesen
– es war Ihr Recht – aber ihn hat die Abweisung
erbittert, er dachte nur an das Versprechen, das er seinem sterbenden
Bruder geleistet – da ließ er sich
hinreißen, Ihnen zu drohen – verzeihen Sie ihm. Er
hat Beweise gegen Sie gesammelt – aber fürchten Sie
nichts, gnädige Frau, sie werden Ihnen keinen Schaden
zufügen, Ihr Glück nicht zerstören.«
Während der letzten Worte war er an den Kamin
getreten und hatte ein Bündel Papiere vom Sims genommen.
»Hier sind die Beweise,« sagte er, indem er
ein Blatt nach dem andern durchsah. »Hier ist die Beglaubigung
des Geistlichen, Reverend Sedley, die Erklärung der
Bäuerin, Frau Doblin, hier sind auch die beglaubigten
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