Die Akte Nr. 113
sein
Brot zu verdienen? War sie nicht reich? Nein, er sollte nicht darben,
während die beiden anderen im Überflusse schwelgten.
Zum erstenmal seit ihrer Verheiratung bedauerte sie, sich so
wenig persönliche Freiheit bewahrt zu haben, es war so
ungewöhnlich, daß sie allein ausging – es
mußte auffallen.
Frau Fauvel war wirklich schon am nächsten und die
folgenden Tage ins Hotel Louvre gegangen. Magda, die gewohnt war, die
Tante ans ihren Spaziergängen und Ausfahrten zu begleiten, sah
sie nur höchst verwundert an, als sie jedesmal
zurückgewiesen wurde.
Die Blicke Magdas erregten und ärgerten Frau Fauvel.
Sie fühlte immerfort die fragenden Augen des jungen
Mädchens auf sich gerichtet und ein Gefühl, das fast
an Haß streifte, keimte in ihr auf. Es überkam sie
wie Reue, daß sie die Waise ins Haus genommen, hatte sie sich
doch an ihr nur eine Spionin großgezogen! Tag und Nacht sann
sie darüber nach, wie sie Magda entfernen könnte.
Da fiel ihr ein, das beste Mittel wäre, das junge
Mädchen zu verheiraten. Und das konnte bald geschehen; der
Kassierer des Hauses, Prosper Bertomy, interessierte sich für
sie schon seit langem, Fauvel war nicht dagegen, es galt also nur die
Angelegenheit in Fluß zu bringen.
Selbigen Abend noch sprach sie in altgewohnter liebevoller
Weise mit Magda, brachte die Rede auf Prosper und entlockte dem jungen
Mädchen das Geständnis, daß sie die
Gefühle des jungen Mannes erwidere. Die Tante umarmte sie und
versprach sogleich, mit dem Onkel zu sprechen, in zwei Monaten
könnte die ganze Ausstattung besorgt sein und die Hochzeit
stattfinden.
Leider war Herr Fauvel an jenem Abend nicht zu Hause und in
den folgenden Tagen vergaß sie daran, weil der Gedanke, wie
sie Raoul zu einer angenehmen Stellung und zu Vermögen
verhelfen könnte, sie unablässig
beschäftigte.
Längst schon war sie bei ihren Besuchen im
Louvrehotel mit Louis von Clameran zusammengetroffen und sie fand ihn
nun äußerst sympathisch, weil er
ausschließlich nur auf das Wohl seines Neffen bedacht zu sein
schien.
Sie hatten daher miteinander auch stundenlange Unterredungen,
wie die Zukunft Raouls gesichert werden könnte. Der
Jüngling freilich, wenn er zufällig anwesend war,
wollte von Geldangelegenheiten nichts wissen; »ich will die
Liebe meiner Mutter, aber nicht ihr Geld,« war seine stete
Rede, der Onkel jedoch kümmerte sich nicht um seine
jugendliche Sorglosigkeit und nahm es an, daß Frau Fauvel ihm
die Mittel gab, sämtliche Ausgaben Raouls zu decken, der
Jüngling aber wollte nichts davon wissen.
Der Marquis versprach, Sorge zu tragen, daß Raoul
eine Stellung bekäme, nur meinte er, müsse die Sache
wohl überlegt und auch die Neigungen des jungen Mannes in
Betracht gezogen werden. Um leichter miteinander verkehren zu
können, hatte der Marquis Frau Fauvel vorgeschlagen, ihn ihrem
Manne als alten Freund ihrer Familie vorzustellen, und sie ging freudig
darauf ein, war es ihr doch nicht möglich, Raoul so
häufig zu besuchen. Sie schrieb ihm zwar, doch wagte sie
nicht, sich Antwort kommen zu lassen, nun konnte der Marquis sie ihr
bringen.
Der Marquis zeigte sich gegen Herrn Fauvel
äußerst liebenswürdig und nicht lange
dauerte es, so zählte er zu den Intimen des Hauses: er war zu
jeder Stunde ein gern gesehener Gast.
Valentine war glücklich, sie fand immer Gelegenheit,
einige Augenblicke wenigstens mit ihm allein zu sein und von ihrem
Herzenskinde zu sprechen.
Aber der Marquis brachte nicht immer gute Nachrichten, er
klagte über den Charakter des Jünglings und gestand,
daß er sich beunruhigt fühle.
Frau Fauvel erschrak.
»Um Gottes willen, was kann er denn getan
haben?«
»O, nichts von Bedeutung, er ist nur leichtsinnig; er
weiß nichts von Ihrer Güte, sondern glaubt, auf meine
Kosten zu leben; nun scheint er mich für einen
Millionär zu halten und treibt die Verschwendung schier ins
Maßlose.«
Frau Fauvel fand das nicht so schlimm.
»Er ist noch so jung, er wird schon zu Vernunft
kommen,« meinte sie.
»Ihm fehlt eben die Erziehung, er hatte leider keine
Eltern,« entgegnete der Marquis ernst. »Aber ich habe
seinem sterbenden Vater versprochen, mich seiner anzunehmen, und ich
werde Wort halten. Ich kann es nicht dulden, daß er auf der
schiefen Ebene, auf die ihn sein Leichtsinn geführt hat,
weitergehe. Doch Sie, verehrte Frau, Sie müssen mir helfen,
Ihren ganzen Einfluß geltend machen.«
»Ach,
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