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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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Wasser und Beruhigung mittels eines Drehrades geben wir größte Hoffnung in die Anwendung von Brech- und Purgiermitteln. Eine maßvolle Einnahme der Gratiola officinalis zusammen mit Tartarus emeticus vermag den Wahnsinn zu mildern. Dazu Aderlässe, Schröpfköpfe und mehrere Klistiere.«
    Das war alles nichts Neues. Hier verwendete man Gottesgnadenkraut mit dem Brechweinstein, anderswo Aloe, Senna, Rhabarber oder Jalappe. Der Patient wurde wieder einmal fleißig nach allen Regeln der Kunst entleert, die Medizin der Nervenärzte schien auf dem Stand des vorigen Jahrhunderts.
    »Sie pumpen den Verwahrten die Lebenssäfte aus. Die Heilung |228| erfolgt aufgrund der Schwäche. Welcher Mensch will nach einer solchen Kur noch wirre Reden führen oder gar toben!«, sagte Hahnemann missmutig.
    »Nun, man berichtet von Fällen, in denen eine Verengung des Darmes zu derartigen Zuständen führt. Und auch Würmer können Wahnsinn bedingen. Eine Purgierkur kann also nur förderlich sein.«
    Hahnemann nickte. Er wollte aufstehen und diese Anstalt augenblicklich verlassen – hier würde man nichts für die Gesundung des Geheimen Hofrates tun können –, als ein langgestreckter Schrei erklang, fern zwar, aber dennoch deutlich. Der Direktor ignorierte das geflissentlich und wollte gerade zu weiteren Erläuterungen ansetzen, als sich der Schrei wiederholte und zu einem tierähnlichen Brüllen entwickelte.
    Die Tür wurde aufgerissen, und ein Wärter mit Lederschürze kam hineingestürzt. Er zuckte kurz zurück, als er sah, dass ein Gast anwesend war, dann rief er: »Rasch, wir brauchen noch einen Mann!«
    Der Direktor entschuldigte sich und verließ eilig den Raum.
    Hahnemann überlegte nicht lange und folgte den beiden durch einen Korridor in einen gesonderten, am Haupthause angeschlossenen Trakt, in dem ihn bestialischer Gestank empfing.
    Im Vorraum stand ein hölzernes Gestell mit einem großen Rad und breiten Schlaufen, von dem der Direktor behauptete, es sei durch die hohe Drehgeschwindigkeit in der Lage, darauf Festgebundenen für kurze Zeit den Wahnsinn auszutreiben. Rechts und links daneben lagen Kammern, in deren Türen sich kleine vergitterte Fenster befanden. Daraus war so lautes Schnaufen und Grunzen zu hören, dass Hahnemann sich in einem Stall voller Tiere wähnte. Ein Blick in die Zelle zeigte erbarmungswürdige Gestalten in ihrem eigenen Unrat, manche in Säcke geschnürt oder an Ketten geschmiedet. Sie lagen zu viert oder zu fünft. In einer der Kammern war ein Mann dabei, sich unter lautem Stöhnen an einem anderen, der wie leblos dalag, zu vergehen. Angewidert wandte Hahnemann sich ab.
    |229| Wieder erklang das Brüllen, ein Laut höchster Qual.
    »Sie brennen ihn mit einem Glüheisen.«
    Hahnemann schrak zusammen. Die Stimme klang gepresst und kam von einer etwas abseits gelegenen Kammer. Als er näher trat, sah er zwei Hände, die sich um die Gitterstäbe des Fensterlochs klammerten.
    »Sie setzen es tief in die Haut bis zu den Muskeln, vom Schädel am Nacken entlang bis zum Ende der Wirbelsäule, weil sie glauben, das Feuer könne die Tobsucht heilen.«
    Hahnemann beugte sich vor und sah in zwei blaue Augen, die von einem Schleier der Hoffnungslosigkeit überzogen waren. Das Gesicht des Mannes, der nicht älter als dreißig sein mochte, wurde von breiten Lederriemen gehalten, die vom Kinn zum Scheitel und über die Stirn führten und so den Kiefer in Unbeweglichkeit zwangen. Dort, wo sich die Riemen in die Haut gruben, waren tiefblaue Striemen zu erkennen.
    Er zeigte zu einem wassergefüllten Eimer, der nicht weit von ihnen im Gang stand. »Haben Sie Erbarmen«, sagte er tonlos. Dabei presste er jedes Wort mühevoll durch die Lippen.
    Ohne zu zögern, trug Hahnemann den Eimer zur Zelle, schöpfte mit der hohlen Hand Wasser und hielt sie ihm hin. Der Gefangene umschlang die Hand mit dürren Fingern, hielt seinen Mund ans Nass und schlürfte, wobei die Hälfte des Wassers verlorenging. Dies wiederholten sie mehrere Male, bis der Mann plötzlich aufblickte, Hahnemanns Hand fest umklammert. »Können Sie mich hier herausholen?« Seine Augen flackerten unruhig.
    Das Brüllen im Hintergrund mischte sich mit einem Fluchen. Etwas fiel scheppernd zu Boden. Der Gestank verbrannten Fleisches zog durch den Trakt.
    Hahnemann zog die Hand zurück. »Warum sollte ich das tun?«
    »Weil man mich irrtümlich eingesperrt hat.«
    »Das zu beurteilen obliegt dem Arzt, nicht dem Kranken.«
    »Sind Sie ein Arzt?«
    »Ja, das bin

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