Die Alptraum-Frau
liebte sie sogar. Er wollte sie nicht allein lassen. Sie hatte genügend durchgemacht und auch gelitten. Früher hatte sie mit ihrem Mann ein tolles Leben geführt. Da hatte Geld keine Rolle gespielt. Jetzt lebte sie in einer Wohnung innerhalb eines alten Hauses. Das war schon ein Sturz gewesen, doch er hatte Janine nichts ausgemacht. Sie hatte sich mit den neuen Gegebenheiten gut zurechtgefunden und trauerte dem ersten Leben auch nicht nach.
Filmore überlegte, was er für sie tun konnte. Im Prinzip nichts. Nur wollte er Gewissheit haben. Janine hatte einige Male den Namen ihres Sohnes erwähnt. Darauf konnte er möglicherweise aufbauen. Vielleicht war es besser, wenn er mal mit dem Jungen redete, auch wenn dieser ihn nicht besonders mochte, wofür er auch Verständnis hatte, da der Junge sehr an seinem Vater hing.
Jawohl hing, denn für ihn war er noch nicht tot!
Amos Filmore war ein Mann der schnellen Entschlüsse, wenn es darauf ankam. Noch war Janine mit sich selbst beschäftigt, und so stand Filmore langsam auf.
Die Frau merkte nicht, wie er sich in die Höhe schraubte und auf Zehenspitzen zur Tür ging. Er schlich über die Schwelle und blieb im Flur für einen Moment stehen. Er schaute sich um, aber Benny war nicht in der Nähe.
Die Tür zu seinem Zimmer war geschlossen. Wieder bewegte sich Filmore auf Zehenspitzen weiter. Benny sollte auf keinen Fall etwas hören oder merken. Ein gutes Gewissen hatte Filmore nicht. Was er tat, gehörte sich einfach nicht, aber in dieser extremen Situation musste er es einfach tun.
Dicht vor der Tür blieb er stehen und neigte das Ohr an das Holz. Er wollte herausfinden, ob im Zimmer etwas passierte. Im Prinzip kam er sich lächerlich vor, weil sich seiner Meinung nach Geister kaum anmeldeten, aber man konnte nie wissen.
Es war nichts zu hören, auch wenn er sich noch so stark konzentrierte.
Keine Stimmen, kein Flüstern, überhaupt keine Geräusche. Trotzdem traute er dem Frieden nicht und handelte mehr aus einem Gefühl heraus.
Sehr behutsam drückte er die Tür auf. Dabei musste er zwangsläufig die Klinke bewegen, was ihn auch ärgerte, doch es ließ sich nicht anders machen.
Er lauschte noch einmal. Da lief keine Glotze, da war keine CD aufgelegt worden, und trotzdem war es nicht ruhig im Zimmer, weil er eine flüsternde Stimme hörte. Es war Benny, der sprach!
Filmores Herz schlug schneller. Er wusste, dass Benny allein in seinem Zimmer war. Dass er trotzdem redete, passte zu dem, was ihm Janine berichtet hatte.
Seine Konzentration vertiefte sich noch. Sein Körper war gespannt, und er schob die Tür noch um ein winziges Stück nach innen.
Filmore hatte Glück, denn Benny schaute nicht zur Tür, sondern in eine andere Richtung. Er flüsterte. Seine Worte waren besser zu verstehen. Und Amos Filmore hörte einen Satz, der ihn elektrisierte.
»Klar, Daddy, ich liebe dich auch!«
Filmore war unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er noch angenommen, dass sich Janine geirrt oder etwas eingebildet hatte. Das war nun vorbei. Er selbst hatte Benny sprechen gehört und auch alles verstanden.
Ich liebe dich auch, Daddy! Das war deutlich genug gewesen, verdammt deutlich sogar. Filmore spürte auf seiner Haut ein Kribbeln.
Er hatte Mühe, seinen Atem unter Kontrolle zu bekommen und ruhig zu bleiben. Er hätte gern einen Blick in das Zimmer geworfen, doch er traute sich nicht, die Tür weiter aufzuziehen, dann hätte ihn Benny gesehen.
So wartete er ab, nicht nur innerlich zitternd. Er lauerte darauf, noch weitere Worte mitzubekommen und wurde auch nicht enttäuscht, denn Benny hielt abermals Zwiesprache mit seinem Vater.
»Ja, ich freue mich. Ich glaube, dass du mich besuchen kommst. Du hast es ja gesagt. Ich warte jede Minute auf dich, und dann kannst du mir zeigen, wo du bist…«
Seine Worte verstummten. Wahrscheinlich hörte er die Antwort, aber die war nur für ihn verständlich, und so musste der Lauscher an der Tür noch warten.
»Kennst du sie denn gut, Daddy?«
Eine Frage, deren Sinn Filmore nicht begriff. Es war von einer dritten Person gesprochen worden, und sicherlich von einer Frau. Die nächste Frage: »Ist sie schön?«
Die Antwort war nicht zu verstehen. Dafür wieder Benny. Diesmal staunend. »Oh - so alt ist sie schon? Echt so alt?«
Ross Calderon oder wer auch immer gab eine Antwort. Filmore hätte sie gern gehört, es war ihm jedoch nicht möglich. Dafür vernahm er wieder die Stimme des Jungen.
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