Die Alptraum-Frau
Körper gab es nicht mehr. Er war innerhalb dieser funkelnden Lichtblitze verschwunden, nur seine Züge malten sich ab. Das einzig Persönliche, das es noch von ihm gab. Und sie waren so zur Seite gedreht, dass Janine Calderon sie anschauen konnte. Es gab nicht mehr den geringsten Zweifel für sie. Urania hatte ihr auch den anderen Mann geraubt.
Sprechen konnte sie nicht. Es gab keine Knochen mehr. Es gab nur diesen Schein, der hell war und trotzdem nicht blendete. Trotz ihres Zustandes suchte sie nach einem Vergleich. Ihr kam in den Sinn, dass der Mond oder die Sterne auf eine ähnliche Art und Weise strahlten.
Mehr dachte sie nicht. Sie sah auch nicht mehr, denn einen Moment später verschwand der Schein. Er war so schnell weg, dass sie ihn mit den eigenen Augen nicht verfolgen konnte. Sie bekam auch nicht mit, wohin er sich zurückgezogen hatte, jedenfalls war das Zimmer wieder leer und sah so aus wie immer.
Wie immer? Für Janine war es unmöglich, sich wieder in der Wirklichkeit zurechtzufinden. Es hätte jetzt die gesamte Wohnung abbrennen können, und sie hätte es kaum bemerkt.
Noch immer war sie erfüllt von dem, was sie gesehen hatte. Da tobten die Gedanken. Sie machten sich selbständig, sie drehten sich, und auch Janine konnte den Schwindel nicht mehr unter Kontrolle halten. Sie kippte langsam nach links und wäre sicherlich gefallen, hätte Benny nicht zugegriffen und sie gehalten. Janine merkte es nicht einmal. Benny schob sie vor. Sie ging wie jemand, der in der Reha-Klinik wieder das Laufen lernt. Benny schob sie auf die Couch zu, auf die sie schwer fiel.
Sie saß ungefähr dort, wo sie vor kurzem noch gesessen hatte. Nur allein.
Es gab keinen Nachbarn mit dem Namen Amos Filmore mehr. Er war einfach geholt worden. Von einer fremden Kraft. Vom Licht und zugleich von einem Wesen.
Janine kam erst wieder zu sich, als sie etwas Kaltes an ihren Lippen spürte. Es war der Rand eines mit Wasser gefüllten Glases, das Benny geholt hatte. »Du musst jetzt trinken, Mummy, das ist besser.«
Sie tat es, ohne nachzudenken. Sie spürte die Kühle des Wassers durch ihre Kehle rinnen. Sie schluckte weiter. So lange, bis das Glas leer war.
Dann fiel es ihr aus der Hand.
Benny griff zu und fing es ab. Er stellte es auf den Tisch. Dabei schaute er seine Mutter an, die so totenbleich war und immer nur den Kopf schüttelte wie jemand, der nichts, aber auch gar nichts begreifen konnte.
Reden konnte sie nicht. Benny streichelte sie. Es glitt an ihr ab. Sie atmete durch den halb geöffneten Mund, und irgendwann wurden die Bilder des Erlebten schwächer, so dass sie wieder dazu kam, mehr an sich selbst zu denken.
»Was ist das gewesen, Benny?« hauchte sie.
»Es war Urania.«
»Ja, ja… und dein Vater, nicht? Ich habe ihn gesehen. Ich sah sein Gesicht. So hell…«
»Er ist bei ihr.«
»Wie auch die anderen - oder?«
»Ja, und Mr. Filmore.«
Kaum hatte Benny den Namen erwähnt, da schrak Janine zusammen.
Sie erinnerte sich wieder an jede Einzelheit. Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie das Bild verschwinden lassen, dann konnte sie nicht mehr und fing an zu weinen.
Benny saß neben ihr. Er wirkte wie eine Puppe, die jemand auf die Couch gesetzt und dann vergessen hatte. Ziemlich skeptisch schaute er seine Mutter an. Für ihn war es natürlich. Er hatte sich mit gewissen Dingen abgefunden und versuchte es auch, seiner Mutter näher zu bringen.
»Wir können nichts tun, Mum, wirklich nicht. Aber es ist nicht so schlimm. Du hast doch gesehen, dass Daddy lebt und jetzt bei dieser anderen ist.«
Das war zuviel für Janine. Sie hatte alles gehört. Sogar überdeutlich.
Plötzlich sprang sie auf. Ihre Gefühle explodierten. »Ja!« brüllte sie.
»Bei einer anderen! Ich habe es gesehen. Verdammt noch mal, ich habe es gesehen. Aber was ist das für eine andere Person, die erst als normaler Mensch hier erscheint, dann zu einem Skelett wird und sich letztendlich in Licht auflöst. Kannst du mir sagen, was das für eine andere Person ist, Benny?«
»Nein, aber…«
»Es gibt kein Aber mehr, verflucht. Die nächsten sind wir. Glaube es mir, Benny.«
»Wäre das denn so schlimm?«
Sie fuhr herum. »Ja, Benny, ja, es wäre schlimm. Es wäre sogar eine Katastrophe! Verstehst du?«
»Kann sein.«
Sie schaute sich wild um. »Ich kann hier nicht mehr wohnen bleiben. Ich kann nicht mit dem Gedanken im Haus und in der Wohnung bleiben, dass hier etwas Schreckliches geschehen ist. Tut mir leid, Benny, das schaffe
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