Die Alptraum-Frau
den verzwickten Fällen, die nicht in das normale Raster hineinpassten.
Dass sie zugehört hatte, bewies ihre Frage. »Von welchem Raster sprechen Sie?«
»Von einem besonderen. Von Dingen, die zumeist unglaublich erscheinen«, sagte Suko. »Wir wissen, dass es Vorgänge gibt, die mit dem normalen Verstand kaum erfasst werden können. Da muss dann schon mehr dahinterstecken.«
»Wie bei meinem Mann?«
»Zum Beispiel.«
Sie verzog die Lippen, bevor sie fragte: »Was glauben Sie denn, was mit ihm passiert ist, wenn Sie sich schon mit derartigen Dingen beschäftigen? Was sagen Sie dazu?«
»Ich will ehrlich zu Ihnen sein«, sagte Suko. »Wir glauben, dass Ihr Mann zwar verschwunden ist, aber trotzdem noch lebt.«
»Stimmt!« flüsterte Benny.
»Sei still!«
Ich griff ein. »Nein, Mrs. Calderon. Sperren Sie sich nicht. Sie müssen begreifen, dass wir gekommen sind, um Ihnen zu helfen. Wir wollen Sie nicht mitnehmen und verhaften, wir wollen einfach nur, dass dieser unselige Spuk aufhört.«
Sie blieb still. Zumindest für die nächsten Sekunden. Dann sagte sie:
»Ich weiß auch nicht genau, ob Ross noch lebt oder ob er schon gestorben ist. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Es ist alles so schrecklich, so anders und auch unfassbar. Ich komme damit nicht zurecht. Es ist wider alle Gesetze. Ich weigere mich auch, Ihnen zu erzählen, was hier alles passiert ist. Das ist nicht zu fassen. Ich glaube eher an einen Alptraum und weiß zugleich, dass es keiner ist und ich das alles tatsächlich erlebt habe.«
»Sie haben Ihren Mann gesehen«, sagte ich.
»Ja!« bestätigte sie, um sich gleich darauf zu korrigieren. »Nein, eigentlich nicht.«
»Aber wir haben Daddy gesehen - und sie!«
Benny hatte uns auf den richtigen Weg gebracht. »War es die Alptraum-Frau, die sich Urania nennt?«
Der Junge brauchte uns keine Antwort zu geben. Seinem Gesichtsausdruck sahen wir an, dass wir genau ins Schwarze getroffen hatten. Die Erscheinung musste sich hier in der Wohnung aufgehalten haben.
Mrs. Calderon schwieg. Sie blickte zur Seite, um uns nicht ansehen zu müssen. So blieb uns nichts anderes übrig, als und an den Jungen zu halten.
»Möchtest du uns helfen?« fragte Suko.
»Wie denn?«
»Warst du immer hier?«
Er deutete ein Nicken an.
»Dann hast du sicherlich alles mitbekommen und bist für uns der ideale Zeuge. Du solltest auch nicht vergessen, dass wir es gut mit euch meinen. Es ist etwas Schlimmes passiert. Wir aber sind unterwegs, um noch Schlimmeres zu verhindern. Wir denken schon, dass du uns dabei helfen kannst, Benny.«
Er traute sich nicht so recht. Verständlich bei einem Kind in seinem Alter. Deshalb fragte er auch bei seiner Mutter nach, um sich einen Ratschlag zu holen.
Mrs. Calderon wollte nicht sprechen. Sie gab durch ihr Nicken bekannt, dass sie nichts dagegen hatte, dass Benny redete. Der Junge war froh, seine Angst und seinen Frust loswerden zu können, und so sprudelte es aus ihm hervor. Er sprach schnell, manchmal wiederholte er sich auch, und er war dabei emotionsgeladen. Immer wieder musste er eine Pause einlegen, und so erfuhren wir auch von einem Mann namens Amos Filmore, der hier im Haus wohnte, ein Nachbar war, und den es jetzt nicht mehr gab.
»Hat die Erscheinung ihn mitgenommen?« fragte Suko.
»Ja, so ähnlich und trotzdem anders. Sie hat ihn einfach geschluckt. Wir haben es gesehen. Er ist zu ihr gekommen. Sie haben sich gedrückt. Dann hat sich Urania verändert. Sie ist wirklich zu einem Skelett geworden, und Mr. Filmore hat sie noch immer gedrückt. Bis dann auch das Skelett nicht mehr da war. Es ist zu Staub zerfallen oder zu Licht. Jedenfalls sah alles so ähnlich aus. Staub und Licht zusammen. Genau kann ich das nicht erklären. Aber das ist so gewesen, ehrlich. Und dann war alles weg.«
»Nicht nur der Staub, sondern auch Mr. Filmore?« fragte ich.
»Ja.«
»Was passierte dann?«
»Nichts mehr. Aber vorher habe ich meinen Vater gesehen. Ich habe ihn erkannt. Er war im Licht zu sehen.«
»Aber er war kein Mensch - oder?«
»Nein, Mr. Sinclair. Oder das weiß ich nicht. Er sah nur so ähnlich aus.«
»Hast du mit ihm gesprochen?«
»Das konnte ich nicht.«
»Und deine Mutter?«
»Auch nicht.«
Beide standen noch immer unter dem Eindruck des Erlebten, das noch nicht lange zurücklag. Aber sie wussten auch, dass sie nichts erreichen konnten. Sie selbst waren Schachfiguren in diesem Spiel, das von einer Urania ins Leben gerufen worden war.
Wer war diese Person? Kara
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