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Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Titel: Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
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falls du zumindest so viel Grips hast, dass du mir zuhören kannst –, ist, dass diese Jacke einfach grässlich aussieht.«
    »Eine andere Jacke hab ich nun mal nicht, Herr Ingenieur.«
    »Egal. Wenn du den Präsidenten unseres Landes treffen sollst, kannst du nicht aussehen, als kämst du direkt aus dem Slum.«
    »Obwohl das ja genau genommen zutrifft«, sagte Nombeko.
    »Zieh sofort die Jacke aus und lass sie im Auto! Und beeil dich, der Präsident wartet.«
    Nombeko wurde klar, dass sich die geplante Flucht gerade erledigt hatte. Der Saum ihrer einzigen Jacke war voller Diamanten, von denen sie den Rest ihres Lebens zehren wollte – wenn ihr die Umstände denn ein Leben gewährten. Ohne die Steine, auf der Flucht vor dem südafrikanischen Unrechtswesen … nein, da konnte sie genauso gut gleich bleiben, wo sie war. Bei Präsidenten, Chinesen, Bomben und Ingenieuren. Und ihr Schicksal abwarten.
    * * * *
    Das Abendessen begann damit, dass Ingenieur van der Westhuizen seinem Präsidenten den Vorfall mit dem Skorpion erläuterte. Das sei aber alles gar nicht so schlimm, denn der Ingenieur sei so vorausschauend gewesen, die Bedienstete mitzunehmen, die zufällig Chinesisch sprach.
    Eine schwarze Südafrikanerin, die Chinesisch sprach? Und – Moment mal, war das denn nicht dieselbe Frau, die beim letzten Besuch des Präsidenten auf Pelindaba bedient und sich dabei zur Tritiumproblematik geäußert hatte? P. W. Botha beschloss, nicht weiter nachzuhaken, weil ihm sowieso schon der Kopf wehtat. Stattdessen begnügte er sich mit der Auskunft des Ingenieurs, dass die Dolmetscherin kein Sicherheitsrisiko darstellte, aus dem einfachen Grund, dass sie die Anlage nie verließ.
    Wie es sich für einen Präsidenten gehört, übernahm P. W. Botha das Ruder beim Tischgespräch. Er begann damit, dass er von der stolzen Geschichte Südafrikas erzählte. Die Dolmetscherin Nombeko hatte sich inzwischen mit dem Gedanken abgefunden, dass aus den neun Jahren Gefangenschaft noch mehr werden würden. In Ermangelung neuer Ideen, wie sie diesem Zustand abhelfen könnte, übersetzte sie daher wortwörtlich.
    Der Präsident erzählte noch mehr von der stolzen Geschichte Südafrikas. Nombeko dolmetschte wortwörtlich.
    Der Präsident erzählte noch ein bisschen mehr von der stolzen Geschichte Südafrikas. Da wurde Nombeko es leid, dem Chinesen noch mehr Dinge zu dolmetschen, auf die er gut und gerne verzichten konnte. Stattdessen wandte sie sich an ihn und sagte:
    »Wenn der Herr Chinese möchte, kann ich ihm noch ein bisschen mehr von dem selbstgefälligen Gefasel des Präsidenten übersetzen. Ansonsten könnte ich Ihnen erzählen, dass sich herausstellen wird, wie gut sie in der Produktion moderner Waffen sind, und dass die Chinesen deswegen Respekt vor ihnen haben sollten.«
    »Ich danke dem Fräulein für seine Aufrichtigkeit«, sagte der Chinese. »Und Sie haben ganz recht, ich muss tatsächlich nicht noch mehr über die Vortrefflichkeit Ihres Landes erfahren. Aber dolmetschen Sie jetzt doch bitte, und sagen Sie, dass ich sehr dankbar bin für diese lebendige Geschichtsschilderung.«
    Das Abendessen nahm seinen Fortgang. Beim Hauptgericht war es Zeit für Ingenieur van der Westhuizen, einen Kommentar zu seinen großen Talenten abzugeben. Was er am Ende vorbrachte, war ein erstunkenes und erlogenes Wirrwarr das hinten und vorne nicht zusammenpasste. Doch van der Westhuizens Darstellung war derart verwickelt, dass sogar der Präsident den Faden verlor (das gehörte auch zu dem Glück, das der Ingenieur immer wieder im Leben hatte, bis es ihn eines Tages verließ). Nombeko hätte sich schwergetan, dieses Kuddelmuddel zu übersetzen, selbst wenn sie es versucht hätte. Stattdessen sagte sie einfach:
    »Ich werde dem Herrn Chinesen den Nonsense ersparen, den der Herr Ingenieur gerade von sich gegeben hat. Die Tatsachen sehen folgendermaßen aus: Die Südafrikaner wissen inzwischen, wie man Kernwaffen baut, und haben bereits ein paar fertig – trotz des Ingenieurs. Aber ich habe weder Taiwanesen hier rumschleichen sehen, noch habe ich gehört, dass eine der Bomben für den Export bestimmt wäre. Darf ich wohl empfehlen, dass Sie jetzt etwas Höfliches antworten und anschließend vorschlagen, dass auch die Dolmetscherin einen Happen zu essen bekommt, weil ich nämlich am Verhungern bin.«
    Der chinesische Bote fand Nombeko absolut hinreißend. Er lächelte freundlich und sagte, dass Herrn van der Westhuizens Kenntnisse ihm wahrlich imponierten.

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