Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
Haushalt.
Ingmars Plan bestand darin, so weit in der sozialdemokratischen Hierarchie aufzusteigen, dass er eines Tages die Macht hatte, auf parlamentarischem Wege den verdammten König dort hinzuschicken, wo der Pfeffer wuchs. Den Sowjets war es bereits gelungen, einen Hund ins Weltall zu schießen, beim nächsten Mal konnten sie dann ja gerne das schwedische Staatsoberhaupt mitnehmen, dachte er auf dem Weg zum Parteibüro. Allerdings ging er nach Eskilstuna, weil die Sozialdemokraten in Södertälje nämlich Wand an Wand mit den Kommunisten seines Schwiegervaters residierten.
Ingmars politische Karriere war jedoch noch kürzer als diejenige im republikanischen Klub. Er wurde an einem Donnerstag in die Partei aufgenommen und bekam gleich einen Stapel Flugblätter, die er am Samstag darauf vor dem Spirituosengeschäft verteilen sollte.
Das Problem war nur, dass der international orientierte Eskilstuna-Distrikt die Forderung vertrat, Ngo Dinh Diem in Saigon müsse abtreten. Aber Diem war doch ein gewählter Präsident! Nach tausend Jahren kaiserlicher Dynastie!
Natürlich war es dabei nicht so ganz mit rechten Dingen zugegangen. So hieß es zum Beispiel, dass sich sein Bruder erst das Hirn mit Opium weggeraucht und dann in seiner Eigenschaft als verantwortlicher Stimmenzähler bei der vietnamesischen Präsidentenwahl zwei Millionen Extra-Wähler für Diem dazuhalluziniert hatte.
Ganz so durfte es natürlich auch nicht laufen, aber deswegen gleich zu verlangen, dass der Präsident abtrat, das ging denn doch zu weit.
Also warf Ingmar die Flugblätter in den Eskilstuna-Fluss, um stattdessen eigene zu drucken, auf denen er im Namen der Sozialdemokratie Diem und das tatkräftige amerikanische Militär pries.
Der Schaden für die Sozialdemokratische Partei hielt sich jedoch in Grenzen, da drei von vier führenden Mitgliedern zufällig schon am Samstagmorgen etwas im Spirituosengeschäft zu erledigen hatten. Ingmars Flugblätter landeten im Papierkorb statt in den Händen potenzieller Wähler, während Ingmar selbst gebeten wurde, sein Parteibuch, das er noch nicht mal erhalten hatte, unverzüglich wieder abzugeben.
* * * *
Die Jahre gingen ins Land. Holger und Holger wuchsen heran und ähnelten sich, ganz wie von Ingmar geplant, wie ein Ei dem anderen.
Mama Henrietta verbrachte ihre Tage damit, Kleider zu nähen, ihre Nerven mit John Silver zu beruhigen und Liebe über ihre drei Kinder auszuschütten. Das älteste von ihnen verbrachte den Großteil seiner Tage damit, vor den Jungen das Loblied der Republik zu singen, und den Rest der Zeit damit, zu sporadischen Überraschungsangriffen nach Stockholm auszurücken, um die monarchistischen Reihen zu stören. Jedes Mal, wenn Letzteres angesagt war, musste Henrietta von vorne anfangen, Geld in der Zuckerdose zu sammeln, die sie einfach nie gut genug verstecken konnte.
Trotz gewisser persönlicher Rückschläge waren die Sechzigerjahre doch ein einigermaßen befriedigendes Jahrzehnt für Ingmar und seinen Kampf. Beispielsweise übernahm in Griechenland eine Militärjunta die Macht und verjagte König Konstantin II. und seinen Hof bis nach Rom. Alles deutete darauf hin, dass die griechische Monarchie Geschichte war und das Land wirtschaftlich gesehen einer rosigen Zukunft entgegenging.
Die Erfahrungen aus Vietnam und Griechenland zeigten Ingmar, dass man Veränderungen eben doch mit Gewalt erzwingen musste. Er hatte also recht gehabt und Vilhelm Moberg unrecht. Den Tritt in den Hintern spürte er noch Jahre später. Scheißschriftsteller.
Wenn der schwedische König schon nicht Laika im Weltraum Gesellschaft leisten wollte, konnte er ja gerne auch nach Rom ziehen. Da hatte er dann auch ein paar Leute, mit denen er sich abends treffen konnte. Diese verdammten königlichen Hoheiten waren ja alle untereinander verwandt.
Und wieder stand ein neues Jahr vor der Tür. 1968 sollte Ingmars Jahr werden, verkündete er seiner Familie zu Weihnachten. Und das der Republik.
»Na prima«, sagte Henrietta und öffnete das Weihnachtsgeschenk ihres geliebten Mannes. Sie hatte sich nichts Großes erwartet, aber trotzdem:
Ein gerahmtes Porträt des isländischen Präsidenten Ásgeir Ásgeirsson.
Für Henrietta, die eigentlich vorgehabt hatte, mit dem Rauchen aufzuhören.
Im Herbst 1968 traten Holger und Holger ins schwedische Schulwesen ein, nach dem Schema des täglichen Wechsels, wie es Ingmar an dem Tag beschlossen hatte, an dem sich herausstellte, dass er mehr als einen Sohn
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