Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
legte er auf.
In der Zwischenzeit hatte Nombeko weiter nachgedacht. Es war ja nun nicht so, dass der Ministerpräsident bis zu seinem Abtritt jeden Tag vierundzwanzig Stunden ausschließlich in der Regierungskanzlei saß. Der traf sich ja wirklich mit Menschen. Mit allen möglichen Menschen, von den Staatschefs anderer Nationen bis zu seinem eigenen Mitarbeiterstab. Außerdem war er ab und zu auch im Fernsehen. Und setzte seine Ansichten den Journalisten zur Rechten und zur Linken auseinander. Meistens zur Rechten.
Dass Holger oder Nombeko sich in Staatschefs anderer Nationen verwandeln würden, war nicht sehr wahrscheinlich. Da klang es schon machbarer, einen Job in der Regierungskanzlei oder in der Nähe zu ergattern, auch wenn das noch schwer genug war. Nummer zwei konnte einen Anfang machen, indem er sich an der Universität einschrieb. Er musste nur noch schnell die Aufnahmeprüfung für die Hochschule runterreißen, dann konnte er unter dem Namen seines Bruders studieren, was er wollte. Allerdings mussten es Fächer sein, die ihn in die Nähe des Ministerpräsidenten bringen würden. Der Kissengroßhandel war nicht mehr nötig, wenn es ihnen erst gelungen war, die Diamanten aus Nombekos Jacke zu veräußern.
Nummer zwei ließ sich Nombekos Vorschlag durch den Kopf gehen. Staatswissenschaftler? Oder Volkswirtschaftler? Das würde ein mehrjähriges Studium bedeuten. Das am Ende doch wieder nirgendwohin führte. Aber die Alternative schien so auszusehen, dass sie hier hängen blieben bis ans Ende aller Tage, oder zumindest bis Nummer eins auffiel, dass er nie im Leben lernen würde, wie man einen Hubschrauber fliegt, oder bis die junge Zornige die Geduld verlor, weil die Bullen sie einfach nie erwischten. Es sei denn, der gestörte Amerikaner stellte noch vorher wer weiß was an.
Außerdem hatte Nummer zwei immer schon mit dem Gedanken an ein Hochschulstudium gespielt.
Nombeko umarmte ihren Holger, um zu besiegeln, dass sie jetzt so etwas wie einen Plan hatten, wenn sie schon keine Kinder hatten. Das fühlte sich gut an.
Nun mussten sie nur noch eine sichere Methode finden, die Diamanten zu veräußern.
* * * *
Während Nombeko immer noch überlegte, wie und wo sie welchen Diamantenhändler ansprechen könnte, spazierte sie direkt in die Lösung. Und zwar auf dem Gehweg vor der Bibliothek Gnesta.
Eigentlich hieß er Antonio Suárez – ein Chilene, der nach dem Staatsstreich 1973 mit seinen Eltern nach Schweden geflohen war. Aber seinen wahren Namen kannte kaum jemand in seinem Bekanntenkreis. Vielmehr nannte man ihn kurz und bündig »den Juwelier«, obwohl er eigentlich alles andere als das war. Doch er hatte früher einmal als Verkäufer im einzigen Juweliergeschäft in Gnesta gearbeitet und dafür gesorgt, dass sein eigener Bruder ihm den gesamten Inhalt des Juweliergeschäfts rauben konnte.
Der Coup gelang, aber sein Bruder feierte ihn tags darauf allzu ausführlich, setzte sich dann heillos betrunken ans Steuer und wurde von einem Streifenwagen angehalten, dem aufgefallen war, dass hier jemand zu schnell und noch dazu in Schlangenlinien fuhr.
Sein romantisch veranlagter Bruder eröffnete das Gespräch, indem er die Busenform der Polizeiinspektorin lobte, womit er sich eine Ohrfeige einhandelte. Da verliebte er sich sofort Hals über Kopf in sie, denn er fand nichts so unwiderstehlich wie beherzte, energische Frauen. Er legte den Alkomaten aus der Hand, den ihm die beleidigte Polizistin mit der Aufforderung gegeben hatte, hineinzupusten, zog einen Diamantring im Werte von zweihunderttausend Kronen aus der Tasche und machte ihr einen Antrag.
Doch statt des erwarteten Ja bekam er Handschellen und eine Freifahrt in die nächste Arrestzelle.
Dann führte eines zum andern, und flugs saß auch der Bruder des Schnellfahrers hinter Gittern. Obwohl er alles hartnäckig leugnete.
»Ich hab den Mann noch nie im Leben gesehen«, erklärte er dem Staatsanwalt im Gericht von Katrineholm.
»Aber wieso – das ist doch Ihr Bruder?«, sagte der Staatsanwalt.
»Ja, aber ich hab ihn trotzdem noch nie gesehen.«
Der Staatsanwalt hatte jedoch einiges in der Hand. Unter anderem gemeinsame Fotos der Brüder von Kindesbeinen an. Der Umstand, dass sie unter derselben Adresse in Gnesta gemeldet waren, kam ebenfalls erschwerend hinzu, sowie die Tatsache, dass der Großteil der Beute in ihrem gemeinsamen Kleiderschrank gefunden worden war. Außerdem sagten die ehrlichen Eltern der Brüder zu ihren Ungunsten aus.
Der
Weitere Kostenlose Bücher