Die Anatomie des Todes

Pause, sodass sich Maja bemüßigt fühlte zu fragen, worin die Devise bestand.
    Â»Den kommenden Entwicklungen stets einen Schritt voraus zu sein«, fuhr Skarv fort.
    Â»Und dieser Devise sehen natürlich auch Sie sich verpflichtet?«
    Skarv überhörte die leise Ironie ihrer Frage und nickte
bloß. »Irgendwann werden es alle begreifen, dass die Zeiten sich geändert haben. Die Fischerei kann uns schon lange nicht mehr ernähren und die Zukunft der Stadt sichern. Selbst mit der Werftindustrie wird es bald ein Ende haben. Eine Hildegun III wird es nicht geben, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Â»Wird die Werft denn irgendwann dichtmachen?«, fragte sie überrascht.
    Skarv nickte mit betrübter Miene.
    Â»Falls kein Wunder geschieht, wird ein Großteil der Belegschaft in absehbarer Zeit freigestellt werden. Der Stadt werden daraufhin ein Viertel ihrer jetzigen Steuereinnahmen entgehen.«
    Maja musste daran denken, was das für Peik bedeutete. Dass er womöglich das Schicksal seines Vaters teilen musste.
    Â»Unsere Stadt würde langsam, aber sicher, vor die Hunde gehen«, sprach Skarv weiter und richtete eine der kleinen Säulen des Modells auf, die umgefallen war. »Unser aller Schicksal wäre vom Wohlwollen anderer abhängig. Von Oslos Ölmilliarden. Von ihren Almosen. Wenn die Stadt nicht zu einem Freilichtmuseum verkommen soll, dann muss jetzt gehandelt werden.«
    Er betrachtete sein Modell und lächelte zufrieden.
    Â»Unser Projekt wird im ganzen Land Aufsehen erregen. Und wer weiß, vielleicht werden wir eines Tages Oslo unterstützen müssen, wenn das Öl ausgeht.«
    Â»Und worin besteht das Wunder, dass Sie in Gang setzen wollen?«, fragte Maja.
    Â»Im Grunde ist es kein Wunder, sondern eine Notwendigkeit.« Skarv sah sie ernst an. »Es ist an der Zeit, dass die nächste Generation wieder aufs Meer hinausfährt. In weitere und tiefe Gewässer vorstößt, als es die großen Schiffe tun, um ihren Fang zu sichern.«
    Â»Ihren Fang?«

    Skarv nickte. »Die neue ökonomische Grundlage für die Existenz unserer Stadt.«
    Â»Wollen Sie denn kein Hotel bauen?«, fragte Maja ein wenig enttäuscht.
    Â»Ein Hotel?«, schnaubte Skarv verächtlich. »Nur Nationen, die ihre eigene Identität nicht achten, investieren in den Tourismus.« Er schüttelte empört den Kopf. »Sie haben doch wohl nicht im Ernst gedacht, dass wir die norwegische Küste in eine skandinavische Costa del Sol verwandeln wollen?«
    Für einen Augenblick schien es so, als wolle er zum Tuch greifen, um das Modell wieder abzudecken. Als verdiene sie es nicht länger, seinen hellsichtigen Visionen zu lauschen.
    Â»Das liegt sicherlich daran, dass ich auf diesem Gebiet keine Erfahrung habe«, räumte sie ein und schenkte ihm ihr süßestes Blondinenlächeln. Skarv lächelte kühl zurück.
    Â»Wir werden ein Forum errichten … das Forum Medica.«
    Maja schaute ihn fragend an.
    Â»Wie meinen Sie das? Planen Sie vielleicht eine Klinik?«
    Skarv schüttelte entschieden den Kopf.
    Â»Wir bevorzugen den Begriff Sanctuary. Ein Center für Gesundheit. Physisch und mental.«
    Maja schüttelte ungläubig den Kopf, während sie langsam den Tisch umkreiste, um das Modell erneut in Augenschein zu nehmen. Seine Auskunft hatte sie völlig überrascht und all ihren Vermutungen widersprochen. Das passte nicht zu den Umständen von Lilleengens, Kvams und Munkejords Tod.
    Â»Und wie … wie soll Ihr Gesundheitszentrum von innen aussehen?«, fragte sie.
    Skarv strich behutsam über eines der großen Segel.
    Â»Dieser Flügel hier trägt den Namen Sigma. Skarv deutete auf den griechischen Buchstaben ∑, der zart in die leuchtende Oberfläche geprägt war.

    Â»In diesem Flügel wird das Ärztehaus und Nervenzentrum untergebracht. Außer dem Verwaltungstrakt, der sich im ersten Stock befindet, werden hier auch die Operationssäle liegen. Voruntersuchungen und Operationen werden unter einem Dach stattfinden.«
    Â»Was für Operationen sollen das sein?«
    Â»Plastische Chirurgie, Fettabsaugen, Anti-Aging etcetera – kurz gesagt alles, was mit Lifestyle zu tun hat. Aber auch Sport- und Arbeitsunfälle werden wir behandeln. Und die Ausstattung, über die wir verfügen werden, wird das Skansen geradezu mittelalterlich aussehen lassen«,