Die Anatomie des Todes
Offshore-Werft angelegt hatte. Vielleicht kannte Peik das Schiff oder wusste, ob es auf ihm russische Besatzungsmitglieder gab.
Ein wenig verärgert über das magere Resultat begann sie, die Zeitungen in die rote Kiste zurückzulegen. Sie stellte
sich eine lange Reihe von Schiffen vor, die sie genauer unter die Lupe nehmen musste. Als sie das letzte Exemplar zurücklegte, fiel ihr Blick auf einen Namen, der weitaus interessanter war als der des lettischen Schiffes: Eva Lilleengen. Er stand allerdings nicht bei den Hafennachrichten, sondern den Immobilienmitteilungen:
»Losgata 15 (Fl.Nr. 22/152) von Frau Eva Lilleengen für kr. 325 000 verkauft an Hern Olav Sverkmo.«
Zum Verkaufszeitpunkt vor elf Tagen war Eva Lilleengens Sohn gerade erst beerdigt worden. Sie las weiter und sah, dass die Grundbucheintragung vorgestern erfolgt war. Verglichen mit den anderen Verkäufen, bei denen meist mehrere Wochen bis zur Grundbucheintragung vergingen, schienen die Formalitäten im Fall Lilleengen bemerkenswert schnell über die Bühne gegangen zu sein. Mit einem heftigen Ruck riss Maja die ganze Rubrik aus der Seite heraus.
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In der überfüllten Kantine des Skansebakken-Krankenhauses sah sich Maja nach einem freien Platz um. SchlieÃlich ging sie zu einem Tisch, von dem gerade ein paar Krankenschwestern aufstanden. Sie dachte an Jo Lilleengens, besser gesagt, Olav Sverkmos Haus. Zu keiner Zeit hatte sich ein Zu-verkaufen-Schild an dem Haus befunden, denn das wäre ihr mit Sicherheit aufgefallen.
Es kam ihr merkwürdig vor, dass Eva Lilleengen genug Energie gehabt haben sollte, den Verkauf des Hauses zu organisieren. Andererseits war es natürlich nicht ausgeschlossen, dass der Verkauf schon vor Jos Tod vereinbart worden war.
Vielleicht konnte der Verkauf sogar eine Erklärung für seinen Tod liefern. Möglicherweise war Jo in einer Art Aufbruchstimmung gewesen. War endlich clean und wollte eine Ausbildung beginnen. Und plötzlich wollte ihm sogar noch jemand einen Haufen Geld für die Baracke überlassen,
die er sich irgendwann angeschafft hatte. Mehr Geld, als er je zu Gesicht bekommen hatte. Geld, mit dem er seine Ausbildung finanzieren und seine Träume verwirklichen konnte. Ihm war nach feiern zumute. Mit Bier und Schnaps und einem letzten Kick â ein bisschen Stoff zur Erinnerung an eine Zeit, die endgültig der Vergangenheit angehören sollte. Doch sein entwöhnter Körper hatte diesen letzten Kick nicht verkraftet. Doch warum ausgerechnet Methadon? Und warum in so groÃen Mengen?
Nein, auch diese Theorie musste Maja wohl verwerfen.
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»Morgen ist die Einäscherung«, hörte sie hinter sich eine Stimme.
Maja wollte sich gerade hinsetzen, als Petra Jakola zu ihr an den Tisch kam.
»Wer?«, fragte Maja, um etwas Zeit zu gewinnen und ihre Ãberraschung abzuschütteln.
»Na, wer wohl?«, entgegnete Petra, setzte sich auf einen Stuhl und versperrte Maja damit den Weg.
Es wäre ein Affront gewesen, hätte Maja sich einen anderen Platz gesucht. Sie stellte ihr Tablett also auf den Tisch und setzte sich ebenfalls.
»Hast du den Bericht gelesen?«, fragte Petra mit vollem Mund.
»Ja, und manchmal wünschte ich mir, ich hätte es nicht getan.«
Petra nickte nachdrücklich. »Starker Tobak, was? Die Obduktion war auch kein Vergnügen.«
»Kann ich mir vorstellen, aber trotzdem hätte ich â¦Â«
»Selbst Linz hatte so was noch nie gesehen«, unterbrach sie Petra. »Die Obduktion hat die halbe Nacht gedauert.«
»Petra â¦Â«, begann Maja in vertraulichem Ton. »Was ich meine, ist, dass ich mir wünsche, du hättest den Bericht nie in mein Fach gelegt.«
Petra hörte auf zu kauen. »Warum?«
»Weil wir uns in Zukunft vielleicht beide an die Vorschriften halten sollten.«
Petra schaute sie aufgebracht an und entgegnete etwas zu laut: »Du hattest aber nichts dagegen, dass ich dir den Bericht von diesem Junkie besorge!«
Maja blickte sich beklommen um. »Mit Lilleengens Bericht war das etwas ganz anderes.«
Petra schüttelte irritiert den Kopf. »Wieso?«
»Weil ⦠weil ich persönlich an der Sache beteiligt war. Ich selbst habe schlieÃlich versucht, ihn wiederzubeleben, oder hast du das vergessen? Damals wollte ich mich vergewissern, dass wir in der Notaufnahme alles getan haben, was in unserer Macht stand. Sonst hätte
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