Die andere Haut: Roman (German Edition)
als ich ihn wieder traf, er hat mich auch nicht vergessen, stell dir vor. Bald sehe ich ihn wieder und wahrscheinlich schlafen wir dann miteinander, bestimmt wird es wunderschön, aber keine Angst, ich liebe dich.“ Bei aller Offenheit ein absurder Gedanke, und so berichtet sie David zwar von der zufälligen Begegnung mit Ricardo, von Malin und Linda und Jan, doch über das Chaos in ihrem Inneren schweigt sie. Wozu ihn unnötig verletzen. Würde es ihn verletzen? Bis jetzt war all die Freiheit, die sie einander versprochen haben, meist reine Theorie, zumindest was das anging, die Sehnsucht nach fremder Haut.
Nur einen kleinen Satz schreibt Lara: „Er ist durchaus ganz attraktiv, immer noch.“ Sie lügt nicht gern und gegenüber David schon gar nicht.Wenigstens das „Ich liebe dich“, mit dem sie die E-Mail schließt, tippt sie in der vollsten Gewissheit, die Wahrheit zu schreiben.
Am späteren Abend landet sie in einem kleinen Laden mit der Aufschrift „Cinema“.Warum nicht den Tag im Kino ausklingen lassen, überlegt sie und erkundigt sich nach dem Programm.
„Suchen Sie sich einen Film aus“, sagt der Inhaber an der Verkaufstheke, „die meisten haben wir auf Englisch und Spanisch.“ Er reicht ihr eine Liste und deutet hinter sich. Jetzt erst bemerkt Lara die zahllosen Videokassetten.
Ein wenig verwundert wählt Lara Baz Luhrmans „Moulin Rouge“ in der Originalversion. „Und wann kann ich den sehen?“ „Wann immer Sie wollen. Wenn Sie möchten, sofort.“ Lara nickt, „gerne“, bezahlt den geringen Betrag, den der Mann verlangt und lässt sich von ihm über eine Holzleiter in einen kleinen Verschlag über der Verkaufstheke führen.
Zwei Plastikstühle erwarten sie dort, dazu ein kleiner, türkis lackierter Tisch mit schief aufliegendem Spitzendeckchen, auf dem ein Fernseher und ein Videorekorder stehen. Eine Vase mit roter Stoffgerbera ziert einsam den Boden. Sonst ist der Raum leer.
„Wollen Sie etwas trinken?“, fragt der Kinobesitzer, bringt ihr das bestellte Wasser und schiebt die Kassette in den Rekorder. Dann lässt er Lara allein. Nie zuvor war sie in einem charmanteren Kino. Leise lächelt sie in sich hinein, als der Film beginnt. Gibt sich dem Sog hin, dem Rausch aus schillernden Farben, großen Gefühlen und donnernder Musik.
Kapitel 14
David
A m Silvesterabend wird Lara in der brechend vollen „L-Bar“ David in die Arme geschoben. Vom Sehen kannte sie ihn bereits, einen zotteligen Schlaks mit braunblonden Locken, abgeschlagenem Schneidezahn und lachenden, jadegrünen Augen. Jetzt wechseln sie nicht viele Worte und küssen einander um Mitternacht. Dann drängen sie mit den anderen ins Freie und starren an den glitzernden Himmel. Die Luft riecht nach Schwarzpulver, Schnee und Alkohol. Ein Mädchen weint.
Der Rest lässt sich treiben, lacht und träumt. David greift nach Laras Hand und zieht sie weiter in die Nacht. Weg vom Trubel, um die nächste Ecke, Richtung Schlossgarten oder ins Nirgendwo. Zwischen zwei parkenden Autos küsst er sie wieder, es fühlt sich seltsam vertraut an, schlicht und schön.
Kurz denkt sie an Ricardo und seine Liebesschwüre, die sie in unregelmäßigen Abständen per E-Mail erreichen, selten auch per Brief. Die sie jedes Mal aus der Fassung bringen und ihr Blut zum Kochen. Die sie vorsichtig beantwortet, Liebe und Zweifel in den Zeilen, bis Ricardo sie doch ganz zum Schmelzen bringt, doch kaum ist das passiert, hört sie wieder wochenlang nichts mehr von ihm. So lebt sie weiter wie zuvor, tanzt durch das Leben, Schmetterlingsfrau.
„Alles okay?“, fragt David, und sie nickt.
„Du wirkst gehetzt“, fährt er fort.
„Jetzt im Moment?“
„Ein bisschen. Aber auch sonst oft, wenn ich dich sehe.“ „Ich weiß nicht.“
„Egal. Vielleicht täusche ich mich.“ Er zieht sie an sich. Dann klettern sie zusammen über das verschlossene Tor in den Park. Tanzen im Schnee und reden über das Glück. Wieviel Freiheit es braucht dafür und wieviel Nähe.
„Vor was hast du Angst?“ David.
„Fast nichts.“ Lara.
„Dem Leben?“
„Nein.“
„Der Liebe?“
„Vielleicht. Ja. Doch. Nein.“
Er lacht. „Wie ich.“
Sie schlägt ihn auf den Arm. „Spinner.“
„Weißt du, was ich besonders gut kann? Das kann fast keiner!“ Wie ein Schuljunge. Stolz und grinsend.
„Sag.“
„Ich gucke nur auf eine Wiese voll Klee und entdecke sofort das Ding mit den vier Blättern.“
„Das will ich sehen!“
„Wenn du mich im Frühling noch
Weitere Kostenlose Bücher