Die andere Seite des Glücks
zugezogen, schwerer, olivgrüner Stoff, es war düster und stickig und unerträglich heiß. Großvater Sergio lag im Bett, und ich saß auf einem Stuhl daneben und hielt seine Hand. Er und ich, wir standen uns wirklich nahe. Ich habe diesen Mann geliebt. Ich war neunzehn.«
»Erzähl weiter.«
»Mein Vater war auch da, aber Großvater fragte ständig nach Joe junior, der versuchte, so schnell es ging, aus der Stadt, wo er studierte, herzukommen. Und Großvater versuchte, so lange durchzuhalten. Ich hatte mich immer für Großvaters Liebling gehalten, aber in der Situation hatte er kein Interesse, mit mir zu reden.«
»Und was ist passiert?«
»Als Joe endlich kam, erzählte Großvater uns alles. All die Sachen, über die er nie gesprochen hatte, sprudelten aus ihm heraus, wie groß seine Angst gewesen war, seine Frau und seine Kinder nie wiederzusehen, als sie ihn mitnahmen. Dass er und Großmutter Rosemary keinerlei Ersparnisse hatten und die Einwohner von Elbow sich zusammentaten, um Großmutter mit dem Laden zu helfen. Er sagte, und das werde ich nie vergessen: ›Man hat uns aus Angst interniert: Angst vor der Herkunft der Menschen, Angst vor ihrem Vaterland. Sie fragten mich: Wen lieben Sie mehr? Italien oder Amerika? Ich antwortete, Sie wollen wissen, wen ich mehr liebe, meine Mutter oder meine Frau? Ich liebe sie beide, aber auf unterschiedliche Weise. Die eine ist meine Vergangenheit und die andere meine Zukunft. Ich sagte, ich liebe dieses Land, es ist meine Zukunft. Und Sie fragen, ob es mich bekümmert, dass mein neues Land Bomben auf meine Verwandten wirft? Ja, es bekümmert mich, habe ich gesagt, aber das kam gar nicht gut an.‹
Großvater sagte, wie sehr er seine beiden Enkel liebte. Aber dass er sein Haus und seinen Laden für seine Familie und die zukünftigen Generationen gebaut habe. Er sagte, wir schuldeten es Elbow, Capozzis Market weiterzuführen, weil der Laden für die Stadt die Hoffnung symbolisiere, auch in schweren Zeiten durchzuhalten.«
»Ich verstehe trotzdem nicht, warum er ihn an Joe weitergab.«
»Geduld, das kommt gleich. Also in dem Moment wandte er sich mir zu. Die ganze Zeit hatte er viel gehustet und schwer geatmet, aber dann sagte er mit glockenklarer Stimme: ›Davy, ich liebe dich, mein Junge. Ich habe etwas Geld, das ich dir geben will. Aber seien wir ehrlich, du wirst nie Kinder haben.‹ Dann wandte er sich an Joe und sagte: ›Versprich mir eines, Joe junior, versprich mir, dass du den Laden übernimmst, dass du ihn in meinem Sinne weiterführst und dem Namen Capozzi Ehre machst, damit nie wieder jemand diese Familie in Zweifel zieht. Und eines Tages wirst du den Laden deinen
Bambini
übergeben. Versprich mir das.‹ Im Zimmer wurde es mucksmäuschenstill. Sogar Großvaters Keuchen hatte aufgehört. Ich dachte nur:
Bitte sag nicht ja, du willst doch Fotojournalist werden und in der Welt umherreisen
. Doch Großvaters tränennasse Augen flehten ihn an. Und schließlich sagte Joe: ›Ja, Nonno, das verspreche ich.‹« Davids Stimme zitterte, doch er sprach weiter. »Und Großvater lächelte. Er hatte nie Nonno genannt werden wollen, und jetzt verstanden wir auch, warum. Er sagte: ›Ich danke dir, Joey‹, und schloss die Augen. Seine Tränen rollten zu den Ohren, und ich erinnere mich noch, wie Joe sie mit dem Daumen weggewischt hat. Und Joe weinte auch, und seine Tränen fielen auf Großvater. Kurz darauf war Großvater tot.«
Eine ganze Minute verstrich, vielleicht sogar mehr. »David, das war sicher ungeheuer schwer.«
»Wir hatten nie über mein Schwulsein gesprochen. Ich hatte es noch nicht einmal meinen Eltern erzählt. Doch Großvater hatte es gewusst, aber nie etwas gesagt. Er war immer liebevoll zu mir gewesen. Aber er wollte, dass dieser Laden von Generation zu Generation weitervererbt wird, und auf mich konnte er in der Beziehung nicht zählen. Aber so schwer das alles für mich war, für den armen Joe war es noch schwerer. Dieses Versprechen war wie eine Fessel um seinen Hals.«
»Er hat mir nie erzählt, wie alles gekommen war, nur, dass euer Großvater wollte, dass er den Laden übernimmt. Aber nicht, was das für euch beide bedeutet hat.«
»Joe hat sich nie beklagt und es einfach als seine Pflicht angesehen. Aus dem gleichen Grund hat er auch nie um Hilfe gebeten.«
Während David sprach, hatte ich kein Wort mitgeschrieben, doch nachdem wir aufgelegt hatten, notierte ich Folgendes:
Grund für Internierung war Angst. Angst vor der Herkunft
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